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REZENSIONEN

Baunetzwoche #427: ITALOMODERN 2

MEISTER, AUSSENSEITER UND FREAKS.

„Italomodern“, dieses Wort gab es bis vor elf Jahren noch nicht. Gemeint sind Bauten der Nachkriegsmoderne in Oberitalien, Bauten, die zwischen 1946–76 entstanden sind, Bauten völlig unterschiedlicher Stilrichtungen. Erfunden haben den Ausdruck „Italomodern“ die Brüder Martin und Werner Feiersinger. Der Wiener Architekt Martin Feiersinger (*1961) und der Künstler und Bildhauer Werner Feiersinger (*1966) legen mit ihrer zweiten Publikation nun eine umfangreiche Sammlung vor, die ab nächster Woche auch in Innsbruck ausgestellt wird. Wir sprachen vorab mit Martin Feiersinger.

Sieben Jahre lang haben Sie mit ihrem Bruder an der ersten Publikation und Ausstellung gearbeitet, nun erscheint vier Jahre nach Italomodern 1 der Nachfolgeband 2 plus Ausstellung. Hätten Sie mit diesem Interesse und Erfolg gerechnet?

Martin Feiersinger: Überhaupt nicht! Wir wollten ursprünglich nur einige wenige Bauten dokumentieren – zuerst in Italien, dann in anderen Ländern. Es war nicht absehbar, dass wir elf Jahre lang in Oberitalien unterwegs sein würden.

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, die junge oberitalienische Baugeschichte von 1946–76 aufzuarbeiten? Darin steckt viel Arbeit und Leidenschaft. Hat das Projekt Sie gefunden oder umgekehrt?

Martin Feiersinger: Zwei unterschiedliche Bauten haben das Projekt ausgelöst: ein kleines Privathaus in Udine, die sogenannte Casa Rossa von Gino Valle und ein Hotel in Ivrea, das wie eine riesige Schreibmaschine aussieht und von Cappai & Mainardis entworfen wurde. Beide Bauten habe ich als Student in Wien kennengelernt: Gino Valle zeigte das „Rote Haus“ so nebenbei unter vielen großen Projekten in seinem Vortrag, das Olivetti-Hotel in Ivrea hingegen entdeckte ich in einer japanischen Publikation. Erst in der Zusammenarbeit mit meinem Bruder, der Bildhauer und Fotograf ist, wurde aus Neugierde und dem Bedürfnis, die Bauten vor Ort zu studieren, das Dokumentationsprojekt Italomodern. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, das Projekt hat mich gefunden, weil gleichzeitig Werner mit seinem fotografischen und plastischen Interesse von der anderen Seite auf das Projekt zugegangen ist.

Die „Freaks“ der oberitalienischen Nachkriegsmoderne finden sich vor allem in der wirtschaftlich starken Region Südtirol und Norditalien. Wie erklären Sie sich das Phänomen Italomodern?

Martin Feiersinger: Der Wirtschaftsboom in Oberitalien verschaffte vielen Architekten einen großen Spielraum: Sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen suchten nach einem entsprechenden baulichen Ausdruck ihrer aufstrebenden wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse. Im Bruch mit der orthodoxen Moderne wurden die unterschiedlichsten Richtungen eingeschlagen – von der Rückbesinnung auf das Handwerk und die lokalen Bautraditionen, über die Bewegung der „Organischen Architektur“, dem Brutalismus, Form- und Materialexperimenten bis zur Abstraktion. Die italienische Architekturszene dieser Jahre ist geprägt von Ambiguität und Widersprüchen, und der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Strömungen. Mit der Wortschöpfung „Italomodern“ haben wir die verschiedensten Lager, von den bekannten Meistern bis zu Außenseitern und auch einigen „Freaks“, zusammengefasst.

Und warum ist die oberitalienische Nachkriegsmoderne so unbeachtet, sogar ungeliebt geblieben?

Martin Feiersinger: Das mag daran liegen, dass die Architekturszene aus so vielen Gruppierungen besteht, die sich voneinander abgrenzen. Es gibt zwar zahlreiche Publikationen von den einzelnen „Schulen“, doch bildet die übergreifende Zusammenschau von Italomodern eine seltene Ausnahme.

Auch unabhängig von Italien ist der Aneignungsprozess von Bauten etwa eines Betonbrutalismus oder von Materialexperimenten zwar auf der Ebene privater Auftraggeber gut, bei Wohnblöcken oder Institutionen hingegen meist problematisch.

Ist Italomodern mehr Reiseführer, mehr Archiv oder Geschichtensammlung?

Martin Feiersinger: Sowohl als auch – in den Biografien ist zudem mein persönliches „Logbuch“ zu finden: mit den genauen Adressen von weiteren Bauten, die einen guten Überblick des jeweiligen Werks bieten. Man kann Italomodern aber auch als chronologische Aneinanderreihung von Kurzgeschichten lesen; für Werner ist es außerdem eine Sammlung von Bildern, die als Spiegel der Zeit auch jedes für sich stehen können.

In welchem Zustand sind die Bauten, die sie in den letzten vier Jahren besucht haben? Manche Fotos zeigen offenbar Ruinen.

Martin Feiersinger: Insgesamt ist der Erhaltungszustand gut. Einige Bauten, wie z.B. die Diskothek Woodpecker oder der Schweinestall in Torre Pallavicina stehen aber seit Jahren leer und verfallen. Trotzdem haben wir diese Bauten in die Auswahl dazu genommen, da sie auch als Ruinen noch eine starke Ausstrahlung besitzen – und zusätzliche Spielarten zu anderen gezeigten Projekten der Architekten aufzeigen.

Die gesammelten Bauten sind alle Zeugnisse einer besonderen Zeit. Welche Entdeckungen oder Geschichten haben Sie überrascht?

Martin Feiersinger: Vor allem die regionalen Eigenarten waren immer wieder überraschend: Wenn etwa Filippo Monti innerhalb von wenigen Jahren in seiner Heimatstadt Faenza viele Häuser nebeneinander baut. Besondere Glücksfälle waren aber auch die unangemeldeten Besuche in den Büros bei Sergio Jaretti (geb. 1928) in Turin und bei Marco Dezzi Bardeschi (geb. 1934) in Florenz, um Pläne auszuheben nachdem wir mit der Fotodokumentation fertig waren. Beide Architekten wollten eigentlich nur über die Gegenwart sprechen, doch kamen in der lebhaften Unterhaltung auch die Anfänge zum Vorschein.

Gibt es Lieblingsbauten, die Sie entdeckt haben?

Martin Feiersinger: Sehr viele! Waren es bei Italomodern1 vor allem die Bauten von Luigi Caccia Dominioni, so sind es beim zweiten Teil einzelne Bauten von verschiedenen Architekten, darunter etwa Ferienhäuser von Mangiarotti & Morassutti in San Martino di Castrozza, Ziegelbauten von Jaretti & Luzi in Turin, ein Atelierhaus von Giuseppe Pizzigoni – das wie ein Vorläuferprojekt von Terunobu Fujimoris Häusern in Japan wirkt – bis hin zum Gipfelbiwak auf der Grignetta von Mario Cereghini.

Hatten Sie bei ihrer Bestandsaufnahme einen Anspruch auf Vollständigkeit?

Martin Feiersinger: Wir wollten auf jeden Fall in die Breite gehen – ein Anspruch auf Vollständigkeit wäre aber nicht einzulösen! Bei Fertigstellung des ersten Bands war sofort klar, dass einige wichtige Positionen fehlten. Vier Jahre – und viele Reisen – später bleibt dieses Gefühl bestehen, auch wenn jetzt alle „Lücken“ aus dem ersten Teil gefüllt wurden; in der vertieften Recherche haben sich ständig weitere interessante Positionen gezeigt.

Werden Sie weiter über die Nachkriegsmoderne in Oberitalien recherchieren – oder ist diese Arbeit nun für Sie beide abgeschlossen?

Martin Feiersinger: Mit der Ausstellung und dem Buch Italomodern 2 findet das Projekt nun einen wunderbaren Abschluss.

Jeanette Kunsmann

 

Tiroler Tageszeitung, 29. Oktober 2015

Im Skulpturenpark der Visionen.

Wie sehr die italienische Nachkriegsarchitektur von der Lust am Experiment geprägt war, zeigt sich auch im zweiten Teil von Martin und Werner Feiersingers Projekt „Italomodern“.

Die Zukunft von gestern liegt in gigantomanischen Wohnanlagen, in einer metallenen Kapsel auf rund 2200 Metern Seehöhe, vielleicht aber auch in einem Schweinestall in einem Dorf in Bergamo: Hier jedenfalls realisiert Giuseppe Pizzigoni Anfang der 1960er Jahre ein erstaunliches Stallgebäude mit ausgeklügeltem Schalentragwerk aus Beton – ein Beispiel für die vor allem im Spätwerk des Architekten dominierenden Materialexperimente, ein weitgehend unbeachtetes Stück italienischer Architekturgeschichte außerdem. Exakt auf solche, gerne auch unspektakuläre Trouvaillen hat es der aus Brixlegg stammende Architekt Martin Feiersinger abgesehen, wenn er oberitalienische Gefilde nach den Zeugnissen jener Aufschwungs- und Aufbruchjahre durchkämmt, die das Italien der Nachkriegszeit geprägt hat. Eben auch in baukünstlerischer Hinsicht: Die Lust am Experiment, der Glaube an die Gestaltbarkeit der Zukunft und schließlich auch der entsprechende Raum für gebaute Utopien haben zahlreiche jener Unikate hervorgebracht, denen Feiersinger zusammen mit seinem Bruder, dem Bildhauer und Fotografen Werner Feiersinger, auf der Spur ist.

Aus den zunächst privaten Recherchereisen entstand 2011 „Italomodern. Architektur in Oberitalien 1946 bis 1976“ – eine Ausstellung im Innsbrucker aut sowie eine Publikation, die als eines der schönsten Bücher Österreichs ausgezeichnet wurde.

Die große Resonanz hat die Brüder zu einer Fortsetzung ihrer Bestandsaufnahme unter dem Titel „Italomodern 2“ bewogen. Diesmal mit deutlich erweitertem Radius bis nach Südtirol und in die alpinen Regionen, womit etwa auch Beispiele alpiner Tourismusarchitektur aus den 1950ern in diese Zusammenschau eingehen, die sich um die tiefen Gräben zwischen den verschiedenen Strömungen und Lagern wenig schert. Brutalisten, Neorealisten, Rationalisten, Organiker sind hier ebenso vereint wie eigenwillige Einzelwerke, Kurioses, Kühnes, Visionäres und an der Vision Gescheitertes. Den Reisen selbst gehen akribische Recherchen von Martin Feiersinger voraus, interessiert er sich doch gerade auch für Projekte unbekannter Architekten oder aber unbekannte Projekte prominenter Architekten. Zu Letzteren gehören etwa ein vom Großmeister Carlo Scarpa in die Südtiroler Weinberge gebautes, terrassenförmig angelegtes Privathaus oder ein in den 1950er-Jahren am Eingang des Aostatals realisiertes Wohnhaus von Design-Guru Ettore Sottsass.

Trotz aller Vorbereitungen seien ihre Streifzüge immer auch „Entdeckungsreisen“, sagt Feiersinger: „Bis auf wenige Ausnahmen sind wir unangemeldet unterwegs. Und manchmal stellt sich auch die Frage: Steht das Gebäude überhaupt noch?“ Tut es das, fotografiert es Werner Feiersinger nicht mit dem Blick des klassischen Architekturfotografen, sondern mit dem des Bildhauers, der sich vor allem auch für die skulpturalen Qualitäten der Gebäude interessiert. Mit den von Martin Feiersinger nachgezeichneten Plänen ergibt sich eine spannende Dokumentation der Formensprache einer Region in drei Jahrzehnten.

Ivona Jelcic

 

Coolhunting, 7. Dezember 2015

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This recently published book revisits hidden jewels of Italian Modernism.

The second half of last century was a golden age for Italian architecture, with many experimental buildings constructed in big cities, tiny towns and remote areas. These almost forgotten architectural masterpieces are explored with tenderness in "Italo Modern 2."

Published by Swiss Park Books, the book is the brainchild of two architects (and brothers) from Vienna: Martin and Werner Feiersinger. To compile the tome, the duo traveled throughout northern Italy to photograph numerous monuments built during the rationalist, organic and brutalist architecture movements. Together, they visited both well-known wonders and hidden gems—all built between 1946 and 1976—and made sure to document them in their true state, depicting their natural surroundings and all signs of aging.

As the name suggests, "Italo Modern 2" is the second volume of an architectural guide. Identical in form and charming minimalist design as its predecessor, the new book presents even more pages and mapped buildings. Over 132 unique structures fill the tome, chronicled through detailed summaries, architect biographies and exact addresses—so you can even visit them in the flesh.

Readers will discover (potentially) unknown early works of Ettore Sottsass, dating back to the 1950s, and creations by Cortina d'Ampezzo-based architect Edoardo Gellner. His extensive development of mountain Modernist architecture during the 1950s shows how modern architecture can sensitively complete the forested slopes of the Italian Alps. This thoughtful approach to nature and architecture is echoed in Mario Galvagni's work, whose bizarre 1950s organic style—which he applied in the seaside resort of Torre del Mare in Liguria—is heavily inspired by nature.

"Italo Modern 2" (designed by Willi Schmid with Agipo typeface by Czech designer Radim Peško) is covered in purple suede ...

Adam Stech

 

Quer #18 Winter 2015

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Was als Ausstellungskonzept für das AUT – das Haus der Architektur in Tirol – seinen Anfang nahm, wurde ein internationaler Erfolg, der mit diesem Buch eine berechtigte Fortsetzung findet. Das, was diese selektierten Bauten auszeichnet, ist einerseits das Vertrauen in die Architektur, die Kreativität als Ausdruck eines gesellschaftlichen Optimismus und andererseits die Bereitschaft, sich auf räumliche als auch bautechnische Experimente einzulassen.

Fortsetzungen sind meist eine Enttäuschung. Nach dem sensationellen und ersten, preisgekrönten Band ITALOMODERN aus dem Jahre 2012 stellt sich schnell die Frage, ob die Brüder Feiersinger bei genau identer Aufgabenstellung den Spannungsbogen und das hohe Niveau des Architekturführers über Bauten in Oberitalien 1946–1976 halten können. Dabei war es weniger schwierig, herausragende Gebäude auch für den zweiten Band zu finden.

Das soeben erschienene Buch ist noch umfangreicher ausgefallen, die Sammlung umfasst dieses Mal 132 Bauten in allen Dimensionen –  vom Biwak mit wenigen Metern Durchmesser bis hin zu kompletten Universitätsanlagen. Die Autoren haben die Arbeitsteilung und auch die bewährten Zutaten belassen, eine gute Entscheidung. Martin Feiersinger zeichnet für die prägnanten und pointierten Begleittexte verantwortlich, die gemeinsam mit den Kunsthistorikern Michaela Zöschg und Christian Nikolaus Optiz verfasst und von Wendungen und Fachausdrücken befreit wurden, die zu sehr dem Architekturjargon verhaftet sind. Erläuternde Pläne wurden für diese Publikation durchwegs neu gezeichnet. Eine Karte mit der Lage der Gebäude, ein Index und die Lebensläufe der Architekten, die zu recherchieren eine wahre Herausforderung waren, sind wieder Bestandteil des Buches. Das bereits beim ersten Band von mir gelobte grafische Konzept wurde mutig weiter entwickelt.

Werner Feiersinger hat die meisten Fotos gemacht, einzelne Aufnahmen sind auch von Bruder Martin Feiersinger. Für den Leser ist sofort ersichtlich, dass es sich um aktuelle Bilder handelt, die Gebäude haben mittlerweile eine Patina, wenngleich Ergänzungen oder Objekte auf die Gegenwart hinweisen. Dennoch sind die Abbildungen von einer Selbstverständlichkeit und Würde geprägt, die darauf hoffen lässt, dass nicht nur die Autoren und eine kleine interessierte Leserschaft diese Architektur zu schätzen wissen. Einige der italienischen Architekten haben bestätigt, dass diese Übersicht über eine ganze Architekturepoche auch nur mit dem unvoreingenommenen Blick von außen so gut gelingen konnte.

David Pašek

 

Detail 12.2015

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Italomodern 2 ist die Weiterführung der Ausstellung, die 2011 im aut (architektur und tirol) in Innsbruck zu sehen war: Die Wiederentdeckung der oberitalienischen Nachkriegsmoderne, deren Architektur nicht vielfältiger hätte sein können. Sie ist mal schlicht, zurückhaltend, weißgetüncht, mal expressiv, ruppig, knallig bunt, schrill oder gar freakig, mal detailverliebt oder voller virtuoser, konstruktiver Lösungen – und all das zeitgleich. Italomodern 2 ist auch die spezifische Arbeits- und Sichtweise eines Architekten und eines Künstlers: 132 chronologisch geordnete Bauten – in aktuellen Fotografien und neu gezeichneten Plänen – zeugen vom akribischen, jahrelangen Recherchieren der Brüder Feiersinger. Der daraus entstandene pluralistische Fundus spiegelt die Experimentierfreudigkeit und Visionen jener Zeit wider, die nach neuen (formalen) Zugängen suchte. Darin liegt das Potenzial der Schau. Denn das Gezeigte ist voller Un-Konventionen und Möglichkeitsräume. Das macht Mut – zugleich darf es aber auch als Herausforderung für die Rezipienten gesehen werden, denn Martin und Werner Feiersinger werten nicht. Gefallen oder Nichtgefallen waren keine Kriterien bei der Fotografie und der Auswahl der Bauten; auch bleiben die Projekte unkommentiert. Umso mehr verstehe man Italomodern als Einladung, sich intensiver und kritisch mit jener Architektur der Nachkriegsmoderne auseinanderzusetzen. Die diversen Materialsammlungen, die in Innsbruck sowie in den Ausstellungspublikationen mit Biografien der Architekten und Bibliografien zu den jeweiligen Projekten gezeigt werden, geben dazu mehr als nur einen Anstoß.

Waltraud Indrist

 

AIT 12.2015

Mit dem zweiten Band von „Italomodern“ setzen die Brüder Martin und Werner Feiersinger ihre einzigartige Dokumentation der norditalienischen Nachkriegsmoderne fort. Wie schon der erste Band aus dem Jahr 2011 (siehe AIT 12.2011) besticht auch der aktuelle Titel durch exzellente Fotostrecken, kurze Texte und saubere Grundrisszeichnungen. Und wieder entführen uns die beiden Architektur-Aficionados an einen fast vergessenen Schauplatz der neueren Architekturgeschichte und entfalten ein faszinierendes Panoptikum unterschiedlicher Stile und Strömungen – von den exaltierten Schalenbauten Pier Luigi Nervis über den strengen „Razionalismo“ von Aldo Rossi und Giorgio Grassi bis hin zu den mitunter bizarr anmutenden Versuchen Eduardo Gellners, traditionelle Bauformen in neue Maßstäbe und eine moderne Konstruktionssprache zu übersetzen. Die begleitende Ausstellung zum Buch ist noch bis zum 20. Februar 2016 im Innsbrucker Architekturmuseum zu sehen.

 

architektur.aktuell 12.2015

Martin und Werner Feiersingers "Italomodern" ist nicht nur amtlich eines der 15 "schönsten Bücher Österreichs" des Jahres 2011, sondern auch ein international beachtetes, das bereits nach wenigen Wochen vergriffen war. Dieser Erfolg ist allerdings nicht der Grund, warum sich das brüderliche Duo nun in "Italomodern 2" erneut auf die Suche nach kaum bekannten Objekten der Architekturen, die zwischen 1946 und 1976 im oberitalienischen Raum entstanden sind, gemacht hat. Sondern die Obsession, möglichst viele der höchst bemerkenswerten "weißen Flecken" baukünstlerischer Art auszumerzen, die es zwischen Triest, Turin und Südtirol noch immer gibt. Band zwei hat mit 550 Seite 150 mehr als der erste und Platz für 132 Projekte der unterschiedlichsten Art. Chronologisch dokumentiert in knappen Worten und ein bis mehreren Bildern, angefangen mit der Mailänder Case Zucca von Mario Cavallè von 1946 bis zum Wohnquartier Le Baxie, das Giuseppe Gambirasio und Giorgio Zenoni zwischen 1976 und 1983 in Spotorno gebaut haben. Darüber hinaus ist Italomodern 2 als handlicher Reiseführer eingerichtet.

Edith Schlocker

 

HÄUSER 1.2016

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Verborgene Schätze

Unglaublichen Reichtum und immense Vielfalt der modernen Architektur Oberitaliens zeigen zwei großartige Bände.

"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit", wird gern Karl Valentin zitiert. Gleiches gilt für die Architekturgeschichte. Wenn aber nach akribischer Recherche und strapaziösen Fototerminen solche Bücher wie die von Martin und Werner Feiersinger entstehen, hat sich jeder Aufwand gelohnt. Die Architektur der Nachkriegsjahrzehnte in Oberitalien beschränkte sich eben nicht nur auf die genialen Raumschöpfungen Carlo Scarpas und ein paar anderer Granden wie Edoardo Gellner oder Vittorio Gregotti, sondern schloss auch periphere Meisterwerke wie die Kunststoffkuppel einer Diskothek in Milano Marittima von Filippo Monti oder die säulenverzierte Jugendherberge von Franco Albini in Cervinia ein. Seite für Seite sind hier Entdeckungen zu machen, blättert sich ein beeindruckendes Panorama moderner Architektur auf. Ebenso überzeugend wie die Auswahl der Objekte sind die Fotos, die klugen Texte, die Kurzbiographien, das feinsinnige Layout, die schöne Ausstattung mit Velourseinband. So sollten Bücher sein.

 

Bauwelt 5.2016

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Neorationalisten, Brutalisten, Organiker, Freaks

Was für eine Vielfalt! Auch der zweite Band der Brüder Martin und Werner Feiersinger zur Architektur in Oberitalien zwischen 1946 und 1976 begeistert und erfreut. Erstaunlich, dass es noch so viel zu entdecken gibt. Nach dem zunächst überraschenden großen internationalen Echo und Erfolg des ersten Bandes italomodern – er erschien 2011 und war binnen kurzer Zeit vergriffen, ebenso die Neuauflage – begaben sich die Brüder Feiersinger nochmals auf Entdeckungsreise nach Oberitalien. Sie erweiterten den Ra­dius, von Bozen bis Colle di Val d’Elsa, von Triest bis San Remo, von der Küste bis ins Hochgebirge. Vier Jahre und etliche Recherchen und Reisen später präsentieren sie nun in Buch und Ausstellung ihre 132 neuen Fundstücke, zusammengestellt in italomodern 2.

Man kann das Buch an jeder beliebigen Stelle aufschlagen, den Blick in der Ausstellung in den Räumen des aut.architektur und tirol in Innsbruck beliebig schweifen lassen, das Auge muss nicht lange suchen, bis es etwas findet, das in­teressant ist oder skurril oder eigenwillig oder schön. Es kann eine spezifische Form sein oder ein Detail, ein kühner Materialmix oder eine gewagte Konstruktion, die Art und Weise, wie ein Gebäude mit der Landschaft korrespondiert oder wie es losgelöst von Zeit und Ort erscheint.

Unikate haben die Brüder Feiersinger gesucht: Werner, der Bildhauer und Fotograf mit einem sehr eigenen Blick und Sinn fürs Skulpturale, und Martin, der Architekt, der akribisch Unbekanntes recherchierte. Und darüber hinaus die Grundrisse, aufs Wesentliche reduziert, neu zeichnete und schöne, klare Texte verfasste, in denen er nicht nur das Spezielle an jedem Gebäude beschreibt, sondern auch Bezüge herstellt, sowohl zwischen Bauten als auch zwischen Architekten.

Alle Gebäude sind im gleichen Hochformat aufgenommen, das unterstreicht das Anliegen der Autoren, keine Wertung abzugeben. So hat ein kleines Biwak in den Bergamasker Alpen von Mario Cereghini in der Sammlung ebenso seinen Platz gefunden wie die brutalistische Großstruktur der Universität in Urbino von Giancarlo De Carlo. Es tauchen also auch bekannte Architekten auf, meist jedoch mit weniger bekannten Gebäuden. So wie eine Kirche, die Edoardo Gellner gemeinsam mit Carlo Scarpa gebaut hat, sie weist erkennbar die Handschriften der beiden miteinander befreundeten Architekten auf. Aber den Großteil der Zusammenstellung bestreiten diejenigen, deren Namen nicht so geläufig sind. Die frühen Wohnhäuser von Sergio Jaretti und Elio Luzi finden mit einem Augenzwinkern Anleihen bei Gaudí. Dino Tamburini baute in Triest eine Kirche in Anlehnung an einen dreischiffigen Kirchenbau aus parabolischen Betonschalen, die den Dreierrhythmus aufnehmen. Filippo Monti plante als Herzstück einer Diskothek in Milano Marittima einen Kuppelraum, zusammengesetzt aus 23 Segmenten aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Ico Parisi baute 1965 ein Ferienhaus, dessen knallbunte, mit Rundungen versehene Innenräume die siebziger Jahre vorwegzunehmen scheinen.

Es ist ein Überschwang an Formen, Stilen und Typologien, wie er wohl in dieser Fülle nur in Zeiten einer blühenden Wirtschaft, wie sie Oberitalien in den Nachkriegsjahren erlebte, auftreten kann. Und es scheint, dass es die Architektur danach drängte, sich aus dem Formenkanon des Faschismus zu befreien. In der Breite der Zusammenstellung entsteht so das Bild einer Epoche, die, getragen von einem Fortschrittsglauben, extrem pluralistisch ist und mit einer Experimentierfreude aufzeigt, was in der Architektur möglich ist – gerade uns, die wir in einer zunehmend von allen möglichen Verordnungen mehr und mehr regulierten Zeit leben. Man kann ihn förmlich spüren, den Geist des Aufbruchs im Italien der Nachkriegszeit – und man fragt sich, wann italienische Architektur uns wieder einmal so zu begeistern vermag.

Dagmar Hoetzel

 

werk, bauen + wohnen 1-2.2016

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Sie haben es wieder getan! Martin und Werner Feiersinger, der Architekt und der Bildhauer haben nach ihrer Ausstellung (wbw 1/2–2012) und der nicht minder sehenswerten Publikation Italomodern aus dem Jahr 2011 nachgelegt. In Innsbruck versuchen sie nun mit ihrer zweiten Schau an den Erfolg anzuknüpfen. Die breite Resonanz war Ansporn, mit Reisen und Recherchen fortzufahren. Als Ergänzung zum Fokus auf den urbanen Raum zwischen Turin und Triest des ersten Rundgangs werden nun 130 Unikate gezeigt, deren Standorte selbst ins Hochgebirge führen. Manche der Bauten sind eigenwillig, mitunter manieristisch, vielfach experimentell, manche aber auch ganz und gar unspektakulär. Aber allen gemeinsam ist: Sie bringen den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung Italiens ins Bild. Für die Unermüdlichen: Auch Italomodern 1 ist auf dem Weg nach Innsbruck nochmals zu besichtigen: Bis 13. Februar im Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn.

Roland Züger

 

Monopol, Februar 2016

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Es war ein Überraschungserfolg: 2012 legten die beiden in Wien lebenden Brüder Martin und Werner Feiersinger einen ersten Band mit Fotos und Dokumentationen praktisch unbekannter Bauwerke der italienischen Nachkriegsarchitektur vor. „Italomodern“ nannten sie diese Publikation, die sich mit ihrem rein typografisch gestalteten Cover (Grafik: Willi Schmid) in retroschickem Veloursbeige zu einem Verkaufshit entwickelte.

Nun gibt es einen neuen Band mit weiteren Architekturprojekten, die Martin Feiersinger in jahrelanger Recherche zusammengetragen hat. Sie finden sich in den großen Zentren wie Mailand, Turin oder Bozen genauso wie in unzähligen kleinen Orten in ganz Oberitalien – Einfamilienhäuser, Villen, Kirchen, Banken oder Ferienanlagen.

Schon die Fülle an unorthodoxen oder skurrilen Bauten im ersten Band ließ staunen. Man hätte gedacht, dass das Potenzial danach ausgeschöpft sei. Doch für den Nachfolgeband „Italomodern 2“ haben die Autoren weitere 132 Bauwerke entdeckt und kartografiert. Glaubt man ihnen, dann gäbe es sogar genug Stoff für ein weiteres spannendes Sequel.

Unbeeindruckt von der zum Teil heftigen Konkurrenz zwischen den Architekturschulen Italiens – zwischen Rationalismus, Brutalismus oder Neofunktionalismus – haben Feiersinger und Feiersinger die unterschiedlichsten Bauwerke versammelt. Etwa die elegante Meeresterrasse von Aldo Bernardis in Lignano (1969–72), ein exzentrisches Beispiel einer Schutzhütte in den Alpen von Mario Cereghini (1966–67), das wie ein befestigtes Spaceshuttle wirkt, oder die eklektizistische Casa Manolino von Sergio Jaretti und Elio Luzi in Chieri (1955–56), die mit ihren expressionistischen Schmiedearbeiten und Miniaturtürmen bereits die Postmoderne erahnen lassen. Aber es sind auch Trouvaillen berühmter Architekten enthalten, wie ein weitgehend unbekanntes Südtiroler Sammlerhaus von Carlo Scarpa und Sergio Los von 1969.

Der Architekt Martin Feiersinger entdeckte bereits während seiner Studienzeit in Wien durch einen Vortrag von Gino Valle über die Casa Rossa in Udine Schlüsselwerke dieser italienischen Nachkriegsmoderne. In Zeitschriften, allen voran der Stilbibel „Casabella“, aber auch in vergriffenen monografischen Publikationen, suchte der Architekt nach vergessenen Gebäuden abseits des offiziellen Kanons der Moderne. Was er fand, war erstaunlich: wundersame Schöpfungen einer verspielten Formenvielfalt, konstruktiv und technisch avanciert.

Zusammen mit seinem Bruder Werner, einem Bildhauer, machte er sich auf die Suche nach diesen oft abseits der Touristenpfade gelegenen Bauwerken. Manchmal gelang das nur mithilfe von Luftbildern oder Google Maps. Wenn die beiden die Besitzer der Häuser ausfindig machen konnten, waren Begehungen möglich, oft blieb es bei Außenaufnahmen.

Die Abbildungen in „Italomodern 2“ stammen nahezu alle von Werner Feiersinger und entstanden als subjektive Momentaufnahmen ungewöhnlicher skulpturaler Objekte. Anders als ein professioneller Architekturfotograf verwendete er keine Weitwinkelobjektive, die Bilder wurden zum Teil auch zu wenig fotogenen Jahreszeiten aufgenommen. Manchmal verdeckt dichtes Blattwerk die Fassade, manchmal ist das Gebäude hinter einem Zaun fast nicht zu sehen. Es sind solche ungeschönten Blicke, die das Projekt „Italomodern“ auch für Nicht-Architekten faszinierend machen. Die Bauten verkörpern jene nostalgische Faszination, die mit wehmütigen Erinnerungen an vergangene Ferienaufenthalte an der Küste Liguriens oder an der Adria verbunden ist – der Band ist chronologisch geordnet und eignet sich mit seinem Dokumentationsteil auch zum Reisebegleiter.

„Italomodern 2“ erklärt keine Architektur. Das Buch ist, wie sein Vorgänger, eine Sammlung inspirierter Bauformen einer bisher wenig bekannten „anderen“ europäischen Moderne. Es spiegelt die idiosynkratische Leidenschaft seiner Verfasser und zeichnet sich gleichzeitig durch die akribische Recherche eines Fachbuches aus. Und vor allem lebt es – wie sein Gegenstand – von seiner nonchalanten Eleganz.

Patricia Grzonka