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REZENSIONEN

A10, new European architecture, #21, May/Jun 2008
In a book whose modest size belies the significance of its contents, Austrian architect Martin Feiersinger has photographed and described ten buildings in northern Italy dating from the 1960s and '70s. When it comes to buildings that have made it into the canon of modern architecture, revisiting is always a risky undertaking because the reality is often a good deal less impressive than one might have expected based on the crystal-clear photographs taken immediately after completion. It is a sad truth that many buildings do not improve with age, use, and wear and tear.
Feiersinger's selection consists of architecture that can at best be said to occupy the margins of the canon of modern architecture. And that is putting it in a good light. This is architecture that has largely disappeared from the historical record: a house in Udine by Gino Valle, an apartment building in Milan by Luigi Caccia Dominioni, two buildings by Gabatti & Isola in Ivrea and Nichelino, two by Iginio Cappai and Pietro Mainardis in Ivrea and Mira, a civic centre by Guido Canella in Pieve Emanuele, cabanas by Vico Magistretti in Arenzano Pineta, one housing block in Calolziocorte by Giuseppe Gambirasio and another in Milan by Angelo Mangiarotti and Bruno Morassutti. They are without exception buildings that Feiersinger rightly describes as being 'off the beaten track'.
Maybe he visited lots of other buildings from the period which he subsequently decided not to include in this book, but the overwhelming impression invoked by this selection is of architecture that has convincingly stood the test of time. In Feiersinger's photographs this architecture often looks fresher than it did in the somewhat misty pictures featured in Domus and Casabella shortly after completion when the buildings enjoyed their five minutes of fame. The strenght of this architecture is such that the visual clutter scarcely registers. The garbage bins, traffic signs, parked cars and graffiti have little impact on the quiet composure of this charismatic architecture.
Feiersinger's photography shows the buildings in their context, but not in the now slightly old-fashioned way that has them merge with the urban landscape. On the contrary, he allows the buildings to come to the fore in all their unconventional beauty. It is to be hoped that the ten detours he made in order to rescue this architecture from oblivion are only the beginning. Because this selection makes one hanker for more of the same.

Hans Ibelings

 

AIT, Architektur/Innenarchitektur/Technischer Ausbau, 7/8.2008
Die Grand Tour, die klassische Bildungsreise der Architekten gen Italien, ist zum Auslaufmodell geworden. Die Niederlande, Graubünden, Wien und Barcelona haben längst den Weihestädten Norditaliens den Rang abgelaufen. Doch zu Unrecht, wie der Bildband von Martin Feiersinger beweist. Nicht, dass hier noch einmal der Kanon der Architekturgeschichte abgelichtet würde, ganz im Gegenteil: Feiersinger eröffnet mit seiner Auswahl einen Anti-Kanon zur Grand Tour, eben die detour, und beweist damit eindrucksvoll, dass es in Italien nach-wie-vor viel zu entdecken gibt. Sein Blick richtet sich auf die 1960-er-Jahre: Die notwendigen Wiederaufbauarbeiten der Nachkriegszeit sind vorüber und der Segen der Moderne ist kein unantastbarer Glaube mehr. Vom eingegrabenen Wohnblock von Gabetti und Isola in Ivrea über die strahlend gelbe Büromaschine in Mira von Cappai und Mainardis bis zur Kabinen-Megastruktur am Strand von Arenzano von Magistretti: Feiersingers Auswahl ist eine Reise zurück in eine Zeit als man an die Zukunft glaubte. Und gerade heute wirken diese 40 Jahre alten Experimente fast wie Vorläufer der zeitgenössischen Avantgarde, nur würde niemand mehr glauben, deren Wurzeln in Italien zu finden. Leider beinhaltet das dünne Heft nur zehn Projekte und man hofft, dass weitere Bände des handlichen Reisebegleiters geplant sind. Ansonsten ist man wohl weiterhin auf die Casabella dieser Jahre angewiesen, um die Ursprünge unserer Avantgarde zu entdecken.

Uwe Bresan

 

Architektur, 1/2008

Detours, so der Titel der aktuellen Publikation von Martin Feiersinger, steht für Abstecher und Umwege und verweist auf eine Arbeitsweise wie auf eine Art des Reisens. Einem subjektiven Logbuch folgend wählte der Autor Bauwerke der 1960er aus zeitgenössischen Zeitschriften, Vorträgen und Monografien und suchte diese erneut auf; zehn Gebäude der Moderne in Norditalien, denen eine formale und konstruktive Mehrdeutigkeit gemeinsam ist. Das Rote Haus in Udine, 1965 von Gino Valle errichtet, wird dabei ebenso betrachtet wie das Hotel in Ivrea, 1967 bis 1975 von Iginio Cappai und Pietro Mainardis erbaut.

 

Bauwelt, 17-18.08, 9. Mai 2008

arenzano

Programmatische Transformation an der italienischen Riviera. Vico Magistretti überbaute 1965 in Arenzano Pineta eine Eisenbahnlinie mit einer hybriden Struktur, die zwischen den oben gelegenen Wohnbauten und dem Strand vermittelt. In die Galerie sind Umkleidekabinen eingelassen, das Dach funktioniert als Promenade, und es gibt eine Reihe von Treppen, die direkt zum Meer führen. Die Eisenbahnlinie ist heute stillgelegt, die Funktion muss überdacht werden.

 

db, Deutsche Bauzeitung, 2/2008
Zeitreise in die 60er in Italien
Fliederfarben ist der Einband des Büchleins und lässt nicht ahnen, was sich im Innern verbirgt: Brachiale, experimentelle Architektur der sechziger Jahre aus Norditalien, die zur Zeit so gar keine Konjunktur hat. Umso schöner ist die liebevolle Auswahl, die der österreichische Architekt Martin Feiersinger getroffen hat. Aus Zeitschriften, Vorträgen, Monografien und Stadtplanausschnitten hat er zehn Bauten herausgefiltert, vom Einfamilienhaus, das aus drei aufgeständerten Zylindern besteht, über ein eingegrabenes Studentenwohnheim bis zu einem Hotel, dessen formales Vorbild eine Schreibmaschine gewesen zu sein scheint. Feiersinger hat die Unikate besucht, in ihrem gegenwärtigen, teilweise völlig maroden Zustand fotografiert und mit einem kleinen Text sowie Grundriss versehen. Die meisten Gebäude sind wenig verändert worden und zeugen davon, welche der mitunter gewagten Ideen funktioniert haben und welche nicht.

 

DBZ, Deutsche Bauzeitschrift, 6/2008
Die hier versammelten zehn Beispiele für Architekturen einer anderen Moderne der sechziger Jahre in Italien sind vom Autor und Fotografen willkürlich gesammelte Objekte. Willkürlich allerdings nicht in dem Sinne, dass ihnen nicht ein Gemeinsames zuzuordnen wäre (Qualität zum Beispiel). Bei den Wohnhäusern, Geschäften oder Verkehrsbauten handelt es sich um Architekturen aus dem vielleicht imaginären Zettelkasten von Feiersinger, der sich über die Jahrzehnte mit Bildern aus Fachzeitschriften oder eigener Anschauung oder erzählter Anschauung füllte. Nicht prall füllte, dafür sind die hier vorgestellten Architekturen in ihrem Habitus zu exotisch und gleichzeitig, wie Feiersinger schreibt, zu sehr ambivalent.
Die so schon beschränkte Auswahl wird zudem durch das Buchformat eingeschränkt: Kleinformatig und seitenarm kommt es daher, doch alles ist sorgfältig geschrieben, fotografiert und layoutet; und die Bauten sind wahre Schätze, die zu heben wohl nur der in der Lage ist, der dafür Kenntnis und viele Jahre Geduld mitbringt.
Zehn Bauten also, sämtlich Unikate ihrer Zeit, nicht unbedingt spektakulär, eher verschwiegen hinter blickdichten Hecken, hinter Parkplätzen, an Nebenstraßen oder unter der Erde gelegen, und alle doch sonderbar beredt. Keines der gezeigten Gebäude ist zeitlos, im Gegenteil sprechen sie deutlich von ihrer Entstehungszeit, von ihrem Kontext (räumlich geografisch wie kulturell). Und so ist das Lesen in diesem Heft tatsächlich eine Detour, eine Rückkehr. Auch zu den Wurzeln, die aber längst nicht mehr die zu kreuzen scheinen, die heute unsere architektonische Gegenwart auf der Welt halten.
Viel zu schnell ist man am Ende der Tour angekommen, beim zweiten Lesen und Schauen lässt man sich Zeit. Ob es noch mehr solcher architektonischer Fundstücke im Zettelkasten gibt? Wenn ja: her damit!
Benedikt Kraft

 

dérive, Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 31, April-Juni 2008
Detours. Es stellt zehn Sechziger-Jahre-Bauten in Norditalien, unter anderem von Gino Valle und Vico Magistretti, in Fotos, Planzeichnungen und deutsch-englischen Texten vor, darunter ein halbringförmiges Apartmenthaus, das nach außen nur als Erdwall in Erscheinung tritt, ein siloförmiges Bürgerzentrum und ein leuchtend orangegelbes High-Tech-Mehrfamilienhaus. Alle sind eher spröde bis abweisend in ihrer vom Brutalismus geprägten Architektur, manche befinden sich bereits im Stadium des Leerstandes und beginnenden Verfalls, worüber auch die knappen Texte berichten. Die nüchternen Fotos zeigen die Bauten leider nur von außen.
Iris Meder

 

"Der Standard", 22. Dezember 2007

mira

In den Sechziger- und Siebzigerjahren stand Italien in seiner Blüte. Architekten und Designer lehnten sich weit aus dem Fenster und hielten Ausschau nach der Zukunft. Gelegentlich zwackten sie ihr ein Stückchen ab. Auf diese Weise entstanden etliche futuristische Werke, die lange Zeit als moderne Aushängeschilder der Industrienation galten. Alles vorbei. Der österreichische Architekt Martin Feiersinger wagte einen sentimentalen Blick in die Historie und machte sich mit seiner Kamera auf den Weg nach Norditalien: „In dieser Gegend hat die baukünstlerische Auseinandersetzung besonders viele eigenwillige und charakteristische Bauten hervorgebracht“, sagt er. In der Kleinstadt Ivrea stieß Feiersinger auf den Gebäudekomplex La Serra. Das technoide Ding von Iginio Cappai und Pietro Mainardis war einst ein Boarding House für die Mitarbeiter der Firma Olivetti. Die 55 Alu-Wohnboxen mitsamt Wintergarten und Studierkemenate ragen aus der Fassade, als hätte man amerikanische Wohnmobile übereinander gestapelt. Die abgerundeten Ecken und Kanten schreien sich lautstark den Zeitgeist aus dem Hals. Noch glücklicher ist Feiersinger jedoch über seinen architektonischen Fund in Mira. Gleiche Architekten, gleiche Zeit. In unverändert kräftigem Gelb blitzt in der Hauptstraße ein Geschäftshaus hervor. „Mit Stolz hat uns der Hausherr erzählt, dass sein Gebäude auch schon auf der Titelseite eines Buches abgebildet war“, erinnert sich Feiersinger, „für die Aufnahmen am nächsten Tag hat er veranlasst, dass das Haus speziell herausgeputzt wird.“ Allein, da war das Objekt der Begierde schon längst in den Film gebannt.
Wojciech Czaja