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REZENSIONEN

AIT 12.2011

Bereits vor drei Jahren überraschte uns der österreichische Architekt und Fotograf Martin Feiersinger mit einer kleinen, aber äußerst feinen Publikation zu zehn spektakulären, doch nahezu unbekannten Bauten der 1960er-Jahre in Norditalien. In unserer damaligen Besprechung von „Detours“ (in AlT 7/8.2008) hofften wir, dass demnächst weitere Ausgaben dieses ungewöhnlichen Architekturführers erscheinen würden. Mit „Italomodern“ scheint es nun so, als sei Martin Feiersinger unserem Wunsch gefolgt. Gemeinsam mit seinem Bruder, dem erfolgreichen Objektkünstler und Fotografen Werner Feiersinger, hat er insgesamt 84 Gebäude aus der Zeit zwischen 1946 und 1976 recherchiert und fotografiert, die allesamt vom ungebrochenen Form- und Fortschrittswillen ihrer jeweiligen Erbauer zeugen. Damit bebildern die beiden Brüder eine fast vergessene Epoche der italienischen Architektur – zwischen dem profanen Funktionalismus der ersten Nachkriegsjahre und dem Durchbruch der Postmoderne. Allen vorgestellten Objekten ist eine individuelle, mitunter auch ins Utopische reichende Poetik der Formen, Materialien und Farben zu eigen, die eine Vielfalt erzeugt, wie wir sie selbst heute im Anything- goes der zeitgenössischen Architektur nicht bunter erleben können. Dabei verteilen sich die Bauten in dem durchaus überschaubaren Städteviereck zwischen Turin im Westen, Pisa im Süden, Triest im Osten und Bergamo im Norden. Ergänzt werden die jeweiligen Fotoserien durch kurze Erläuterungen und eigens für die Publikation gezeichneten PIandarstellungen. Dadurch eignet sich der handliche Bildband als idealer Cicerone für die nächste Italienexkursion.

Uwe Bresan

 

architektur.aktuell 12.2011

Die Brüder Martin und Werner Feiersinger bereisten intensiv Oberitalien und wählten aus der Baukultur der Nachkriegszeit zwischen 1946 und 1976 84 Werke. Viele davon repräsentieren nicht nur Strömungen wie il Neorealismo, l'Architettura Organica, il Brutalismo und l'Architettura Razionale, sondern sind einzigartig-unkonventionelle Arbeiten starker Individuen. Dies gilt für alle Bauaufgaben im Kleinen wie im Großen. Das bekannteste Beispiel ist wohl das Wohn- und Bürogebäude Torre Velasca von BBPR (1950-1958). Der Architekt Martin Feiersinger analysierte Raumbildung, Funktion und Kontext, der Bildhauer Werner Feiersinger näherte sich fotografisch den bauplastischen und materialspezifischen Qualitäten an. Die sich optimal ergänzenden Brüder zeigen die Bauten chronologisch mit Kurztexten, neu gezeichneten Plänen und mehreren Fotografien, ergänzt um die Biografien der 43 Architekten bzw. Architekturbüros. Otto Kapfinger setzt das Feiersingersche Panorama mit 13 ausführlichen „Notizen“ in den (architektur)geschichtlichen Kontext. Zudem regen genaue Adressangaben und eine Übersichtskarte zum eigenen Besuch an. Das Buch macht Lust dazu.

Norbert Mayr

 

architektur.aktuell 1-2.2012

Recherche sentimentale eines Brüderpaares

Woanders hin als nach Oberitalien zu fahren, kommt für die Brüder Martin und Werner Feiersinger seit rund zehn Jahren nicht in Frage. Höchst erfreuliches (Neben-)Produkt dieses fast manisch anmutenden Verhältnisses eines Architekten und eines Bildhauers zu einem bestimmten geografischen Raum ist eine Ausstellung im Innsbrucker aut. architektur und tirol sowie ein Buch.

Es ist so etwas wie das völlig subjektiv geführte Logbuch der "recherche sentimentale" (Otto Kapfinger in seinem Text im Buch) von zwei Reisenden. Deren Interesse gilt allerdings nicht der oberitalienischen Landschaft und auch nicht deren Küche, sondern der dort zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Mitte der Siebzigerjahre entstandenen Architektur. Sie war höchst erstaunlich und erblühte rasch zu weit über die Region hinaus reichender Bedeutung, um ebenso unvermittelt wieder in Provinzialismus zu versinken. Martin und Werner Feiersinger haben in der Region zwischen Triest, Turin und Baratti systematisch recherchiert. Bei ihren Reisen sind sie denn auch auf so manches Zufällige gestoßen. Viele der Bauten fanden sie stark verändert, andere mehr oder weniger gut renoviert, wieder andere dem Verfall preisgegeben. Was die beiden Feiersingers am wenigsten interessierte waren die ohnehin hinlänglich bekannten Ikonen von Architektenstars wie etwa Carlo Scarpa. Fassbares Produkt dieser Exkursionen sind tausende von Fotos, die auf verblüffende Weise zeigen, wie grundsätzlich sich der Blick eines Architekten von dem eines Bildhauers unterscheidet. Ein Blick in Ausstellung wie Buch belegt diese Behauptung. Um 84 Projekte geht es in beiden, wobei die im aut an die Wand gehängten bzw. gelehnten Fotos von Werner gemacht sind. Die Aufnahmen im Buch stammen von Martin und stellen allein das jeweilige Bauwerk in den Mittelpunkt, während der Blick des Bildhauers viel mehr Atmosphärisches einbezieht. Die Ausstellung im aut beginnt am höchsten Punkt des auf vier Ebenen ausgebreiteten Parcours mit zwei von Werner Feiersinger skulptural konstruierten Objekten, deren eines - es ist rund und erinnert an einen Zeitungskiosk - mit sämtlichen seit 1956 erscheinenden Ausgaben von "domus", dem Zentralorgan der italienischen Nachkriegsarchitektur, bestückt ist. Sie entwerfen allein schon durch ihre Cover ein unverwechselbares visuelles Zeitbild. Die ausgewählten Bauten sind nach Themen geordnet. In Raum zwei geht es um Fassaden und Dächer, im folgenden um die Konstruktion von Wohn- und Bürohäusern, im letzten um Ferienhäuser. Die unterschiedlichsten Handschriften tauchen hier auf, eine riesige Bandbreite architektonischer Haltungen, Projekte, die sich überlebt haben und andere, die gültiger denn je erscheinen. Für jeden Raum hat Werner Feiersinger eine real besitzbare weiße Skulptur in Form einer verschobenen Raute gebaut. Auf ihr liegen auch kleine Ringmappen zu jedem der Projekte. Sie enthalten Fotos von Martin Feiersinger und eine knappe Dokumentation der Bauten inklusive ihrer maßstäblich gezeichneten Grundrisse.

Edith Schlocker

 

Architektur & Bauforum 417 November 2011

Soeben erschien das Ausstellungsbuch „Italomodern“. Es ist das Ergebnis einer privaten Leidenschaft für Bauten der Nachkriegsmoderne in Oberitalien, die von Martin und Werner Feiersinger - Architekt bzw. Künstler - zunächst zweckfrei in vielen Reisen „entdeckt“ und fotografisch dokumentiert wurden. So besteht der Hauptteil des Buches aus Fotografien von Werner sowie Texten und kleinen Plangrafiken von Martin Feiersinger, die - neben bekannten wie Gino Valle oder Giò Ponti - vor allem auf die Spur von unbekannteren Architekten und Architektinnen jener Zeit führen. Dieser persönliche Zugang der Feiersingers wird erweitert und in einen übergeordneten Zusammenhang mit dreizehn ebenso persönlichen „Notizen“ Otto Kapfingers gestellt. Leichtfüßig, subjektiv und dennoch ungemein präzis beschreibt der Autor einzelne der im Buch abgebildeten Fotografien, weist auf Zusammenhänge hin, ergänzt historische Fakten und reichert diese Haupttexte fußnotenartig mit Zitaten aus unterschiedlichsten Disziplinen und Zusammenhängen an. Im Anhang finden sich neben den Biografien ausführliche bibliografische Hinweise und die Adressen der Gebäude, sodass einer netten Fahrt dorthin nichts mehr im Wege steht.

Eva Guttmann

 

Baumeister B12.2011

Martin und Werner Feiersinger sind nicht nur Italienliebhaber, sondern auch Architekturdetektive. Auf zahlreichen Reisen nach Oberitalien dokumentierten die Brüder, einer Architekt, einer Künstler, Bauten der Nachkriegsmoderne, die in Vergessenheit geraten sind. Die Innsbrucker Institution „aut. architektur und tirol“ zeigt bis 18. Februar das Ergebnis der Streifzüge (oben: Kirche und Denkmal in Longarone von Giovanni Michelucci, 1966 bis 78). Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren sind jeweils akribische Recherche, persönliche Vorlieben und auch Zufälle. Martin Feiersinger, der Architekt, recherchiert, Werner Feiersinger, der Künstler, fotografiert. Die großformatigen Bilder zeigen einen unvoreingenommenen Blick auf skulpturale und experimentelle Bauten genauso wie auf gescheiterte Visionen oder vernachlässigte Bauwerke. Kleine Hefte mit neu gezeichneten Plänen und zusätzlichem Bildmaterial ergänzen die Fotodokumentation der insgesamt 84 Projekte. Italien- und Architekturfans sollten bei ihrer Reise Richtung Süden in Innsbruck eine Pause einlegen.

Peter Zöch

 

Baunetzwoche #246: ITALOMODERN

Die Brüder Martin und Werner Feiersinger, Architekt und Künstler aus Wien, sind seit Jahren in Oberitalien unterwegs, um bekannte und weniger bekannte, aber vor allem eigenwillige und charaktervolle Gebäude aufzuspüren und zu dokumentieren. In der Ausstellung „Italomodern“, die gerade im Innsbrucker Zentrum Architektur und Tirol, kurz aut, zu sehen ist, geben sie nun zum ersten Mal einen Einblick in diese umfangreiche Materialsammlung. Den Beiden ging es bei ihrer Recherche und der Konzeption der Ausstellung nicht um die klassische Rezeption eines bestimmten Stils der zweiten klassischen Moderne, vielmehr werden Zeugen des Neorealismus neben Rationalisten, Vertreter der Brutalisten neben solche der Organiker gestellt. Allen gemein ist allerdings ihr heute fast naiv anmutender Glaube an die architektonische Gestaltbarkeit der Zukunft und der Gesellschaft. Wir haben uns mit Martin Feiersinger über das Projekt, die Ausstellung und die Hintergründe unterhalten.

Wie kam es dazu, gerade Oberitalien zur Feldforschung auszuwählen? Welche Architekturströmungen, die hier stattgefunden haben, waren typisch für die Gegend?

Martin Feiersinger: Oberitalien bietet eine unglaubliche Dichte an interessanten Bauten der verschiedensten Gruppierungen, zeigt Ambiguitäten und Widersprüche, eine Lebhaftigkeit und Vielseitigkeit der Architekturlandschaft, die Gleichzeitigkeit von Strömungen, und auch die Gewissheit, bei den Bestandsaufnahmen aus dem Vollen schöpfen zu können. Als Student, Anfang der 1980er-Jahre, erschien mir der Neorationalismus – um die zentrale Figur Aldo Rossi – als typisch für die Gegend. Bald zeigte sich aber, dass das eigentlich Typische für Oberitalien die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Bewegungen war. Als einen gemeinsamen Nenner der gegensätzlichen Strömungen könnte man am ehesten die Abkehr von der orthodoxen Moderne bezeichnen. Unser Fokus richtete sich folglich gleichermaßen auf Rationalisten und Neorealisten, auf Brutalisten, Kontextualisten, Pragmatiker und Exzentriker bis hin zu den sogenannten Organikern.

Was musste ein Gebäude haben, um ausgewählt zu werden? Wie fand die Auswahl statt? Musste ein Gebäude gewisse Qualitäten aufweisen? Wird die Qualität der jeweiligen Architektur in der Ausstellung hinterfragt?

Martin Feiersinger: Die Auswahl der Gebäude folgte einem subjektiven Logbuch, das hauptsächlich aus Büchern und Zeitschriften der Nachkriegszeit gefiltert wurde. Dazu habe ich z.B. alle mir in den Wiener Bibliotheken verfügbaren Ausgaben von Domus, Casabella und L'architettura durchgeackert und eine Art „Zettelkasten“ von charakteristischen Projekten angelegt. Auch die vielen Monografien der eigenen Sammlung – die auszugsweise in der Ausstellung im aut in Innsbruck zu sehen sind – bildeten eine wichtige Grundlage. Insbesondere galt den Werkverzeichnissen die größte Aufmerksamkeit. In mehreren Fällen kamen nicht die „wichtigsten” Projekte, die in den Monografien den meisten Raum einnahmen, auf die Liste, sondern jene, bei denen die Fragestellung nach dem „aber WIE ist es in natura“ und nach dem „WARUM und WIESO eines Ansatzes“ am brennendsten war. Die Vorauswahl war stets getragen von der Neugierde zu erfahren, wie die eigenwilligen bis unglaublichen Konzeptionen in der zeitlichen Distanz von mehreren Jahrzehnten heute erscheinen würden. In der Ausstellung und im Buch zeigen wir die unterschiedlichsten Positionen ebenso wie die unterschiedlichsten Maßstäbe: vom neorealistischen Kindergarten in Ivrea bis zum zoomorphen Gebilde in Baratti und vom winzigen Wohnhaus in Bergamo bis zum gigantomanischen Wohnquartier in Genua. In einer einschließlichen Betrachtung – in einer Art „Zusammenschau“ – stellen wir die Bauten der seinerzeit verfeindeten Strömungen nebeneinander: in der Ausstellung in einer thematischen, im Buch in einer streng chronologischen Ordnung.

Welchen Vorteil hatte es, die Gebäude mit den Augen eines Architekten und denen eines Künstlers/Fotografen zu entdecken? Worin bestand der Unterschied? Wie war die Aufgabenteilung?

Martin Feiersinger: Das Italomodern-Projekt wäre ohne das produktive Wechselspiel der zwei unterschiedlichen Herangehensweisen nicht denkbar. Steht für mich die Recherche und die daraufolgende Konfrontation mit den Bauten im Vordergrund, so geht es für meinen Bruder in erster Linie um den unbefangenen Blick auf ein Objekt und um die fotografische Dokumentation der Qualitäten im vorgefundenen Gebrauchszustand. Sein Bestreben gilt dabei der unspektakulären „Nähe“ zu den Objekten bei größtmöglicher fotografischer Präzision. Werner konstruiert seine Bilder mit großer Sorgfalt und kommt dabei meist mit wenigen Standpunkten aus.

Haben sich dabei bestimmte Vorlieben oder Abneigungen gegen bestimmte Architekturen entwickelt? Wenn ja, wie hat sich das auf die weiteren Exkursionen ausgewirkt? Gibt es jetzt Lieblingsarchitekten?

Martin Feiersinger: Das Italomodern-Projekt erstreckte sich über einen Zeitraum von sieben Jahren. Vorlieben sind daran zu erkennen, dass einige Architekten bzw. Büros gleich mit mehreren Bauten in der Auswahl vertreten sind. Zu den allerersten Bestandsaufnahmen zählten die Glaskirche von Mangiarotti & Morassutti, das verflieste Wohnhaus mit dem sonderbaren Dach von Caccia Dominioni und auch das Rote Haus von Gino Valle. Nach der Dokumentation dieser drei Meisterwerke fanden sich im Logbuch für die nächsten Reisen klarerweise weitere Bauten dieser Architekten. Ebenso verhielt es sich mit Vico Magistretti. Er ist vielen nur als Möbeldesigner bekannt, hat aber auch ein umfangreiches architektonisches Werk vorzuweisen. Wir zeigen zwei Ferienanlagen und zwei Wohntürme. Insgesamt haben wir aber versucht, nicht einzelne Persönlichkeiten auf einen Sockel zu stellen, sondern die Fülle von außergewöhnlichen Projekten und gegensätzlichen Positionen der oberitalienischen Nachkriegsarchitektur zu zeigen.

In welchem baulichen Zustand befindet sich die Nachkriegsarchitektur in Oberitalien? Gibt es in der dortigen Bevölkerung ein Bewusstsein für den Wert dieser Architektur? Unterscheidet sich diese allgemeine Meinung darüber von der der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum?

Martin Feiersinger: Mit Ausnahme der eleganten Wohnhäuser und Sommerhäuser steht es um den allgemeinen Zustand der Nachkriegsarchitektur in Oberitalien nicht zum Besten. Auch die Wertschätzung ist gering. Aus meiner Sicht gibt es hier aber auch keinen gravierenden Unterschied zum deutschsprachigen Raum. Nur eines der 84 gezeigten Projekte befindet sich in einem katastrophalen Zustand: das Schlüsselwerk des italienischen Brutalismus – das Istituto Marchiondi von Vittoriano Viganò – ist eine Ruine und kann nicht mehr betreten werden. Bei den Bestandsaufnahmen haben sich viele Bewohner bzw. Nutzer der Gebäude über unser Interesse an den „hässlichen“ Häusern gewundert – einerseits, bei den großen Wohnblöcken, mit Unverständnis, aber andererseits auch mit Freude und Stolz, wie beispielsweise bei den zwei Schulen in Busto Arsizio, von dem inzwischen vergessenen Architekten Enrico Castiglioni.

Uli Meyer

 

Casabella 813 5.2012

Questa guida, opera di due fratelli austriaci, uno architetto e l'altro fotografo, risulterà gradita a chi ha ancora il piacere del viaggio e della scoperta. È stata pubblicata in occasione della omonima mostra all'aut. architektur und tirol a Innsbruck e tratta dell'architettura del Nord Italia nei trent'anni successivi al 1945. L'intensità culturale e creativa di quegli anni è colta con gli occhi di chi guarda da fuori e, indifferente agli schemi critico-interpretativi assodati, mette una in fila all'altra novantadue opere, colte nella loro luce attuale. Un'alternanza non scontata illumina un itinerario che si dipana tra realizzazioni di G. Pizzigoni, V. Giorgini, Cappai&Mainardis, Caccia Dominioni o Mangiarotti, tuttora troppo poco documentate, accanto a quelle di G. Gambirasio e di A. Rossi (l'opera prima a Ronchi) e ad altre rarità. La presenza di disegni in scala accompagnati da immagini poetiche, come pure il saggio di O. Kapfinger, che racconta affascinato di una "terra leggendaria", quasi Atlantide rivisitata, trasmettono la curiosità e l'affezione con cui sono state scelte le opere che il libro presenta, piccoli e grandi frammenti di un passato prossimo eppure già così remoto. Quello che presentiamo è un libro inusuale destinato a studenti e architetti intenzionati ad apprendere toccando con mano, compiendo quelle esperienze dirette che, una volta svanite, potranno ritornare utili sul tavolo di lavoro.

Enrico Molteni

 

DBZ Deutsche Bauzeitschrift 1.2012

Sinnlicher Genuss

Nun war das wunderbare Buch schon im letzten Jahr verfügbar, doch das Impressum beharrt auf der 2012. Damit startet dieses neue Jahr mit einer Publikation zu einem ganz besonderen Kapitel europäischer Architekturgeschichte. Und, ich wollte es nicht behaupten, hoffen aber, die Brüder Martin und Werner Feiersinger hatten sich meinen Wunsch zu Herzen genommen, mit welchem ich meine Rezension einer ersten kleinen wie vielbeachteten Publikation aus dem Jahre 2008 am Ende bedachte: „Ob es noch mehr solcher architektonischer Fundstücke im Zettelkasten gibt? Wenn ja: her damit!“ (zu: Feiersinger, Detour).

Hier sind sie also, die Ergebnisse einer andauernden Recherche und jahrelangen Exkursionen des Architekten Martin und des Künstlers Werner (Fotos). Etwa 90 Bauten Nachkriegsarchitektur im oberitalienischen Raum, sämtlich sehr eigenwillig, meist von außen fotografiert, textlich knapp vorgestellt, mit eigens gezeichneten Grundrissen. Fremd, gänzlich aus der Zeit gefallen und vom kongenialen Text Otto Kapfingers um ein Weiteres ins scheinbar Abstrakte aber sehr Reale gehoben, blättert man, so begleitet und also mit größtem sinnlichen Genuss, ein längst vergessenes Kapitel italienischer Architekturgeschichte auf. „Mehr davon“ darf ich gar nicht schreiben, es hieße schlicht, unverschämt gierig zu sein.

Benedikt Kraft

 

Der Standard, 24. Dezember 2011

Als morgen noch übermorgen war

Die beiden Brüder Martin und Werner Feiersinger - der eine Architekt, der andere Künstler - haben sich auf die fotografische Jagd nach der italienischen Moderne begeben

Die Ausbeute ist nun öffentlich zu bestaunen: als Buch und als Ausstellung. Mit Martin und Werner Feiersinger sprach Wojciech Czaja.

Standard: Fliesen und Plüsch. Wie passt das zusammen?

Werner: Die Casa sotto una foglia hat uns selber überrascht. Das ist ein Projekt, das von außen in erster Linie durch sein blattförmiges, geschwungenes Dach auffällt. Der Rest des Gebäudes ist unscheinbar. Sobald man aber den Innenraum betritt, findet man sich in einer Welt aus weißen Fliesen und langhaarigem Plüsch wieder. Das sieht aus wie ein Playboy-Haus, in dem früher einmal wilde Partys gefeiert wurden.

Martin: Ich finde die Entstehungsgeschichte des Hauses sehr interessant. Der Entwurf stammt von Giò Ponti, also vom Gründer und Herausgeber der italienischen Architekturzeitschrift Domus. Was ganz ungewöhnlich ist: Er hat seinen Entwurf 1964 in der Ausgabe 414 veröffentlicht und seine Leser eingeladen, die Pläne zu übernehmen und das Ding einfach nachbauen. Das ist ein ziemlich freizügiger Umgang mit Copyrights, vor allem aber zeugt das von höchster Eitelkeit. Die Mailänder Designerin Nanda Vigo hat den Entwurf dann adaptiert und realisiert. Es ist das einzig gebaute Haus dieser Publikationsoffensive.

Standard: Wie gefällt Ihnen das Haus?

Martin: Man fühlt sich angezogen und irritiert zugleich. Gefallen ist nicht wirklich ein Kriterium für dieses Projekt. Es geht um Einzigartigkeit. Das ist ein Juwel der Moderne. Und obwohl das Gebäude dermaßen aus dem Rahmen fällt, sagt es einiges über die damalige Zeit aus.

Standard: Und zwar?

Martin: Es ist Inbegriff eines völlig durchgeknallten Spätsechziger-Lebensgefühls, es ist kompromisslose Architektur, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Zeitgeist zu realisieren, es ist eine Momentaufnahme von Vision und Utopie, ein Dokument davon, wie man sich damals Zukunft vorgestellt hat!

Werner: Im gleichen Jahr wurde in Mira die Casa Gialla fertiggestellt. Das ist ein Büro- und Geschäftshaus. Die beiden Architekten Iginio Cappai und Pietro Mainardis haben das Gebäude aufgrund seiner außergewöhnlichen Form als Mähdrescher bezeichnet.

Martin: Und die Farbe dieses Mähdreschers ist Knallgelb. Ende der Sechzigerjahre, muss man wissen, hatte man die ganz klare Vorstellung, dass Gelb die Farbe des Jahres 2000 sein würde.

Standard: Diese Bauten sind Beispiele für eine Architektur des 20. Jahrhunderts, wie sie nördlich der Alpen heute kaum noch anzutreffen ist. Warum hat sich die Architektur in Italien gehalten - und warum in Österreich nicht?

Werner: Der Unterschied liegt im Stellenwert und in der Interpretation des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. In Österreich und Deutschland war man in erster Linie um Wiederaufbau bemüht. Die Architektur ist entsprechend schlicht und nüchtern. In den seltensten Fällen wurden damit Emotion und Sinnlichkeit geweckt. In Italien jedoch wurde der Wiederaufbau in den Fünfzigern und Sechzigern dazu benützt, in die Zukunft zu blicken und Neues auszuprobieren. Das zeigt sich im Alltagsdesign von großen Firmen wie etwa Brionvega, Olivetti und Zanussi, aber auch in der Architektur. Manche Bauten zeugen von einer enormen Aufbruchstimmung. Einige davon schauen heute noch utopisch aus.

Standard: In welchem Zustand befinden sich die Bauwerke?

Martin: Das ist sehr unterschiedlich und hängt primär von der Typologie und Nutzung der Gebäude ab. Die Casa sotto una foglia ist ein Liebhaberprojekt. Der Bauherr - er ist mittlerweile 83 - lebt mit seiner Familie immer noch in diesem Haus und pflegt es mit größter Sorgfalt. Keine Fliese ist kaputt. Der Plüsch ist der gleiche wie vor 40 Jahren. Problematisch wird es im Massenwohnbau, also zum Beispiel bei großen Wohnsiedlungen, sowie bei Projekten im öffentlichen Raum. In vielen Fällen lässt der Zustand zu wünschen übrig. Einige Gebäude stehen leer. Und einige scheinen überhaupt dem Verfall preisgegeben zu sein.

Standard: Heißt das, dass die Architektur der Moderne auf Liebhaberei angewiesen ist?

Werner: Wahrscheinlich! Die noblen Wohnungen des gehobenen Bürgertums, das sich der Qualität dieser Gebäude durchaus bewusst ist, werden minutiös gepflegt und sind in einem sehr guten Zustand. In der normalen Alltagsarchitektur hingegen ist das Bewusstsein für die Moderne nicht stark genug. Oder anders ausgedrückt: Die Gesellschaft war und ist nicht so formbar, wie man sich das in der Moderne gewünscht hätte. Viele Konzepte gehen nicht auf. Das sieht man immer wieder, wenn man sich durch Innenhöfe, Gärten, Stiegenhäuser und auf Dachterrassen bewegt, die heute leer stehen und ungenutzt sind.

Standard: Stehen die von Ihnen porträtierten Gebäude unter Denkmalschutz?

Martin: Abgesehen von ein paar öffentlichen Bauwerken wie etwa Kirchen sind die Häuser in keinster Weise geschützt. Beim Istituto Marchiondi in Mailand bemüht sich das Politecnico di Milano derzeit um die Erhaltung des Komplexes. Das ist ein Kinderheim aus dem Jahr 1959, in dem das pädagogische Konzept der damaligen Zeit baulich manifest gemacht wurde. Die Grundrisse sind ein Unikat. Für eine Unterschutzstellung ist es meines Erachtens aber viel zu spät. Das Haus, das seit vielen Jahren leer steht, ist mittlerweile einsturzgefährdet.

Standard: Wie geht es mit diesen gebauten Kulturgütern weiter?

Werner: Ich wünsche mir, dass das Bewusstsein für diese Materie zunimmt. Für mich als Bildhauer sind die Bauten der Moderne eine riesige Inspirationsquelle. In ganz anderer Hinsicht wiederum sind sie Zeitzeugen einer gelebten Kultur und Politik, die die damalige Auffassung von der Welt viel unmittelbarer baulich umgesetzt hat, als das heute der Fall ist.

Martin: Gleichzeitig kann man aus den Fehlern der Moderne lernen. Man kann sie als Warnung auffasen. Manche Visionen gehen auf, manche nicht. Nicht jede Utopie, nicht jedes Experiment eignet sich für die Umsetzung.

Standard: Und? Haben wir aus den Fehlern gelernt?

Martin: Wenn man sich die heutige Architektur so anschaut? Nein, viel zu wenig.

 

Detail 5.2012

Bei allem derzeitigem Midcentury/Sixties-Hype gibt es immer noch genügend Stiefkinder, die durch den Rost der diversen Retro-Abteilungen fallen. Die Brüder Martin (Architekt) und Werner Feiersinger (Künstler) – mit der gemeinsamen Schnittmenge der Architekturfotografie – nehmen sich seit Jahren der norditalienischen Nachkriegsarchitektur in ihren oft schrulligen, häufig verblüffenden und manchmal geradezu brutalen Erscheinungsformen an. Ein erstes Produkt ihrer Touren war 2008 das schmale fliederfarbene Büchlein »Detours «, dem jetzt ein ausführlicherer Band folgt. In einer von einem italienischen Typografen eigens entwickelten Kursivschrift namens »Agipo« in Rot und Grün auf ockerfarbenem Kunst-Wildleder-Paperback gehalten, sperrt sich bereits das Cover gegen gefälligen Mainstream. Innen geht es weiter mit einem apfelgrünen Serviceteil, vorne mit Landkarten und Einführung von Arno Ritter und hinten mit Architektenbiografien. Dazwischen, periodisch unterbrochen durch einen fortlaufenden Text von Otto Kapfinger in Schwarz auf Erdbeerrot, der gut 300 Seiten starke Hauptteil, dessen Protagonisten die in lakonischen Fotografien festgehaltenen Bauten sind, ergänzt durch Planzeichnungen und knappe, informative Texte. Da kommt man aus dem Staunen nicht heraus: bockig fensterlose Südwände, in den Boden versenkte oder über Luken zugängliche Eingänge, gekachelte Sofanischen, plüschbezogene Wendeltreppen. Ein halbringförmiges Apartmenthaus, das nach außen nur als Erdwall in Erscheinung tritt; ein augenscheinlich aus anderen Galaxien in das Veneto gestürztes orangegelbes High-Tech-Condominium; ein Rathaus, dessen Außenhaut im Farbverlauf verschimmelten Obstes gefliest ist. Unter den Architekten sind Stars wie Giò Ponti, Gino Valle, Vico Magistretti, Bruno Morassutti, Ignazio Gardella und Giovanni Michelucci und Geheimtips wie Giuseppe Gambirasio und der großartige Enrico Castiglioni. Empfehlung! 

Iris Meder

 

Die Presse, 24. Dezember 2011

Bilder, die Bauten machen

„Erschaute Bauten“ in Wien, „italomodern“ in Innsbruck: Zwei Ausstellungen zeigen eindrucksvoll, wie Architektur in der Fotografie entsteht.

Seit dem frühen 20. Jahrhundert steht die Architektur unter dem Einfluss der Bilder, die Fotografen von ihr machen. Die meisten Architekten der frühen Moderne orientierten sich durchaus bewusst an den speziellen Qualitäten der Schwarz-Weiß-Fotografie, die ihnen für Publikationen zur Verfügung stand. Wer, wie etwa Bruno Taut, auf eine raffinierte Farbigkeit setzte, hatte es in der medialen Vermittlung deutlich schwerer als die Proponenten der weißen Moderne des „internationalen Stils“.

Nach 1945, mit der Entwicklung der Farb- und der Werbefotografie, wurde auch Architektur oft als perfekt inszenierte Ware dargestellt, etwa durch Julius Shulman, der jahrzehntelang die US-amerikanische Architektur als ihr wichtigster Fotograf begleitete. Zwischen 1945 und 1970 war ein Bauwerk in den USA erst dann bedeutend, wenn es „shulmanized“, also von ihm fotografiert worden war. Viele dieser Bauten sind heute abgerissen oder massiv verändert und in der allgemeinen Wahrnehmung vor allem durch seine Fotografien präsent.

Die beiden derzeit im Wiener Museum für Angewandte Kunst und im „aut. Architektur und Tirol“ in Innsbruck laufenden Ausstellungen kommentieren auf unterschiedliche Art den aktuellen Stand der Beziehung zwischen Architektur und Fotografie. Im „aut“ erfinden die Kuratoren, der Architekt Martin Feiersinger und sein Bruder, der Bildhauer und Fotograf Werner Feiersinger, einen neuen Stilbegriff – „italomodern“ –, dessen Berechtigung sie durch zahlreiche oberitalienische Beispiele aus der Zeit zwischen 1946 und 1976 belegen.

Seit 2004 haben sich die beiden in einer intensiven Recherche mit mehr oder weniger bekannten Bauten aus dieser Zeit beschäftigt. In der Ausstellung und im Katalog sind sie durch Werner Feiersingers Fotografien des aktuellen Zustands und durch sparsame, aber immer das Wesentliche zeigende Grundriss- und Schnittzeichnungen Martin Feiersingers repräsentiert. Das Konzept geht vor allem im Katalog auf, der zu den besten Architekturpublikationen der letzten Jahre gehört. Die Fotografien und Zeichnungen werden ergänzt durch einen Text von Otto Kapfinger, der in 13 Notizen nicht nur die gezeigten Projekte, sondern auch autobiografisch den Einfluss der „Italomodernen“ auf die österreichische Szene der 60er-/70er-Jahre reflektiert. Die grafische Gestaltung mit einer eigens nach einem zeitgenössischen italienischen Vorbild für den Katalog entwickelten Schrift stammt von Willi Schmid. Das Projekt der Feiersingers zeigt einen architektonischen Kosmos, der die doktrinäre Moderne bald nach 1945 hinter sich gelassen hat, lange bevor der Begriff der Postmoderne in Mode kam. Manche Architekten sind aus der Architekturgeschichte zwar bekannt, wie Angelo Mangiarotti, Gino Valle, Pier Luigi Nervi, Marco Zanuso oder Vittorio Viganò, aber die Projekte, mit denen sie hier vorgestellt werden, sind großteils echte Entdeckungen. Da finden sich etwa ein Hochhaus von Mangiarotti und ein raffinierter Stahlskelettbau von Zanuso in Mailand aus den frühen 60er-Jahren, die absolut aktuell wirken, oder ein Sommerhaus von Viganò in Portese, das so ruppig ist, wie man sich ein Landhaus nur wünschen kann – zumindest in den Fotografien von Werner Feiersinger, der sich diesen Häusern aus einer heutigen Perspektive nähert und dabei nicht unbedingt das freilegt, was die Architekten als wichtig an ihren Werken erachtet haben, sondern das, was ihn interessiert. Dass Feiersinger dabei nicht seinen formalen Idiosynkrasien folgt, sondern Aspekte zeigt, die für die aktuelle Architekturdebatte relevant sind, macht ihn zu einem der wichtigsten heutigen Architekturfotografen.

Es ist daher kein Zufall, dass Feiersinger auch in der im MAK laufenden Ausstellung über „Erschaute Bauten“ mit mehreren Fotoarbeiten vertreten ist. Die Ausstellung ist die erste unter der Direktion von Christoph Thun-Hohenstein und musste unter großem Zeitdruck entwickelt werden, weil eine noch unter Peter Noever geplante Retrospektive über Helmut Lang nicht zustande kam. Das ist insofern ein Glücksfall, als eine Ausstellung über „Architektur im Spiegel der zeitgenössischen Kunstfotografie“ sonst kaum das Hauptgeschoß des MAK zur Verfügung gestellt bekommen hätte. Der Kurator Simon Rees hat diese Chance genutzt, großformatigen Arbeiten viel Raum gegeben und sie mit Filmarbeiten kombiniert, die in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Architektur eine immer größere Rolle spielen. Zuweilen entstehen dabei neue Räume, wie in der Installation von Jane und Louise Wilson, die auf vier Bildschirmen ein desolates Denkmal aus Stahlbeton im britischen „New Town“ Peterlee zeigen, das von Jugendlichen in Besitz genommen wird.

Brüchige Utopien sind überhaupt ein zentrales Thema der Ausstellung: Eine eigener Block von Bildern des deutschen Fotografen Tobias Zilony zeigt nächtliche Aufnahmen einer neapolitanischen Trabantenstadt und ihrer Bewohner, die ahnen lassen, wie aus hochfliegenden architektonischen Träumen von einer besseren Welt ein alltäglicher Alptraum wurde. Ähnlich kritisch zeigen Sabine Bitter und Helmut Weber in ihren invertierten Schwarz-Weiß-Fotografien den IIT-Campus in Chicago von Ludwig Mies van der Rohe, aus dessen Geschichte der Abriss eines funktionierenden „schwarzen“ Viertels gerne ausgeblendet bleibt.

Viel Raum bekommt in der Ausstellung auch das Schindler-Chase-Haus in Los Angeles, das zum MAK gehört. Neben Arbeiten von Candida Höfer und Hiroshi Sugimoto, die das Haus als Ikone betrachten, findet sich eine Arbeit der dänischen Künstlerin Pia Rönicke, in der quasi im Familienalbum geblättert wird, begleitet von einer Tonspur, auf der der Konservator des Hauses, Robert Sweeney, über dessen Geschichte berichtet. Auch zu dieser Ausstellung existiert eine ausgezeichnete Publikation in Form eines MAK/ZINEs zum moderaten Preis von knapp zehn Euro. Im Doppelpack mit dem Katalog zu „italomodern“ sollte er Architekturversessene auch durch den verschneitesten Weihnachtsurlaub retten.

Christian Kühn

 

Il Sole 24 Ore, 1. April 2012

Tour tra fantasie cementizie

Il punto più a nord è Longarone, quello più a sud Baratti. Si svolge nell'ampia fascia del territorio da Trieste a Torino il petit tour di due curiosi viaggiatori austriaci – i fratelli Feiersinger, Werner scultore e fotografo; Martin architetto – che nel 2004, di ritorno da un "pellegrinaggio" lecorbusiano in Francia, si imbatterono, di passaggio a Milano, nell'austera e minimalista chiesa Mater Misericordiae di Angelo Mangiarotti e Bruno Morassutti, costruita a Baranzate nel 1956 e recentemente oggetto di un progetto di restauro in virtù del suo indiscutibile valore artistico. Per quanto appannato dall'usura del tempo e da qualche indebita manomissione, il cubo bianco, incorniciato in alto dal ricamo cementizio della forte struttura, fu per i due fratelli uno choc di non poco impatto: un contrappunto all'esuberanza plastica di Le Corbusier, ma anche il segnale di un'esplorazione che richiedeva un'attenta preparazione e una volontà di conoscenza non compromessa da pregiudizi stantii. Interessati uno sulle qualità scultoree degli edifici, l'altro dalla spazialità e dal grado di integrazione nel paesaggio, i fratelli Feiersinger cominciarono così a percorrere sistematicamente il cuore nobile dell'Italia della ricostruzione, sulle tracce di un altro illustre viaggiatore, l'americano Kidder Smith che nel 1955 stupì il mondo con un libro-guida, Italy Builds, che dimostrava come un Paese uscito sconfitto dalla guerra fosse «per miracolo» rifiorito in una miriade di architetture che anticipavano il futuro invece che rimpiangere il passato. Mezzo e più secolo dopo ne è uscito fuori un ritratto assai sorprendente del miracolo italiano, la dimostrazione di una creatività al limite dell'anarchia creativa, in ogni caso non riconducibile agli schemi correnti della storiografia internazionale. Un'Italia di "talenti" isolati, ma comunicanti: l'esaltazione di una serie di "differenze" costruite caparbiamente e con una passione per la sperimentazione che è oggi difficilmente eguagliabile per l'omogeneizzazione di un mondo che è diventato tutto un po' eguale.

La «guida» all'Italia dimenticata dei fratelli Feiersinger comprende autentici capolavori – i condomini milanesi di Magistretti e di Caccia Dominioni, i vortici espressionistici di Michelucci, la stringata, quasi ruvida, eleganza funzionale delle fabbriche di Gino Valle, l'algida ossessione di Rossi e Aymonino nel quartiere Gallaratese eccetera – ma soprattutto di una miriade di "chicche" poco frequentate se non sconosciute, a dimostrazione della ricchezza della provincia italiana. Le abitazioni a "cubetti" del bergamasco Gambirasio, ad esempio, o il geometrismo strutturale del suo conterraneo Pizzigoni; l'espressionismo astratto di Enrico Castiglioni (sorprendente l'Istituto tecnico di Castellanza, uscito da una fantasia futurista) e quello organico e quasi zoomorfo di Vittorio Giorgini (con una casa di Vacanze a Baratti che non fa rimpiangere il maestro americano Bruce Goff); la disinibita disinvoltura di un maestro ottuagenario come Gio Ponti che, con una giovanissima Nanda Vigo, progettò la «casa sotto la foglia» nel cuore della provincia veneta, a Malo, svicolando con genialità da tutti i mainstream dell'internazionalismo degli anni 60.

Italo Modern – con le fotografie inusuali di Werner Feiersinger – è un piccolo gioiello di ricerca sul campo, ma anche un saggio visionario sui monumenti invisibili del XX secolo. Il risultato di una fascinazione simile a un'ossessione minuziosa e accademicamente fondata, ma assai prossima alla ginnastica mentale di veri e propri esercizi spirituali, che – come studiosi e come italiani – ci pongono davanti alla responsabilità di non dimenticare e all'impegno di continuare a esplorare.

Fulvio Irace

 

Neue Zürcher Zeitung, 16. Dezember 2011

Baukünstlerischer Formenzauber

Nie gab sich die moderne Architektur phantasievoller als im Italien der Nachkriegszeit. Eine Ausstellung in Innsbruck zelebriert nun den gebauten Formenzauber jener zukunftsgläubigen Epoche.

Seit Jahren liegt Italiens Architektur darnieder. Einzig in Südtirol konnte sich eine lebendige Szene halten. Der zaghafte baukünstlerische Neuanfang in Sizilien und anderen Regionen schwächelt hingegen im eisigen Wind der Krise. Sie könnte das Bauen zum Erliegen bringen – oder ganz neue Kräfte freisetzen: ähnlich wie in den entbehrungsreichen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine junge Generation voller Enthusiasmus die auf den Altären des Faschismus geopferte Kultur Italiens vom Film bis hin zur Architektur neu zu denken wagte. Der Wiederaufbau und der bald darauf einsetzende Wirtschaftsaufschwung sicherten den Baukünstlern Aufträge – und Raum zur schöpferischen Entfaltung. Daraus resultierte eine stilistisch, typologisch und konstruktiv überreiche Architektur, die einen immer wieder staunen lässt: in ganz Italien, besonders aber auf Stadtwanderungen in Mailand und anderswo in Oberitalien.

Baukünstlerische Spurensuche

Gelegentlich begegnet man dabei Spitzenwerken von Grössen wie Ignazio Gardella, Giovanni Michelucci, Carlo Mollino, Pier Luigi Nervi, Gio Ponti oder Carlo Scarpa, öfter jedoch eigenwilligen Formfindungen kaum bekannter Architekten. Dazu muss man sich nicht einmal in die Poebene hinaus begeben. Schon Campione d'Italia kann mit einem kleinen Juwel aufwarten: der 1967 geweihten Pfarrkirche San Zenone von Mario Salvadè, dessen Name man seit 2005 im zweiten Band der «Kunstführer durch die Schweiz» findet. In vielen anderen Fällen aber steht man etwas ratlos vor baukünstlerischen Trouvaillen, weil Informationen kaum erhältlich sind. Dies musste auch der Wiener Architekt Martin Feiersinger auf seinen Streifzügen durch Norditalien feststellen, weshalb er alte Ausgaben von Fachzeitschriften wie «Casabella» und «Domus» durchforstete und alle Bücher erwarb, die er zum Thema finden konnte. Zusammen mit seinem Bruder, dem Künstler Werner Feiersinger, erfasste er seine Lieblingsbauten. Von ihnen fertigte er möglichst objektive Situationsaufnahmen und exakte Pläne an, während Werner Feiersinger mit seiner Kamera die Bauten auf ganz subjektive Weise interpretierte.

Daraufhin lud Arno Ritter, der Leiter des Innsbrucker Ausstellungshauses «Architektur und Tirol» (aut), die beiden ein, ihre einzigartige Materialsammlung in seinem Haus zu präsentieren. Dort ist jetzt unter dem Titel «Italomodern – Architektur in Oberitalien 1946–1976» eine Auswahl von 84 nach Themen geordneten Bauwerken aus dem Feiersinger-Archiv zu sehen. Die Ausstellung kommt zur rechten Zeit, denn gegenwärtig geniessen die baukünstlerischen Heldentaten jener Jahre neue Aufmerksamkeit – von Jean Tschumis Betonwundern am Genfersee über die Architektur des jungen Staates Israel, die man zurzeit im Schweizer Architekturmuseum in Basel (NZZ 27. 10. 11) studieren kann, bis hin zu den «Cosmic Communist Constructions», welche der Verlag Taschen in einem stupenden Bildband feiert.

Den Auftakt zur Innsbrucker Schau macht ein Leseraum mit historischen Publikationen. Von dort blickt man hinauf zur Galerie, wo Hunderte von «Domus»-Heften in einer turmförmigen, von Werner Feiersinger geschaffenen «Kiosk»-Installation gezeigt werden. Dieser inszenierte auch die drei Ausstellungsräume. Dabei nehmen seine grossformatigen Architekturaufnahmen Bezug auf die für sein Schaffen charakteristischen gestell- oder treppenförmigen Konstruktionen. Darauf finden sich zu jedem Bau kleine Notizbücher mit Skizzen, alten Abbildungen und Plänen, welche die Besucher wie auf einem Stadtrundgang zu eigenen Recherchen ermuntern wollen.

Besonderes Interesse wecken jene Bauten, die heutige Meisterwerke formal vorwegnehmen. Einige stammen vom wenig bekannten Luigi Caccia Dominioni, der die späte Mussolini-Zeit als Flüchtling in der Schweiz verbrachte und dann in Poschiavo ein Kloster realisieren konnte. Seine Mailänder Häuser faszinieren durch ornamental eingesetzte Formen und Materialien. Erinnern der Ziegelgitterturm des Convento di San Antonio und die glänzende, durch bildhaft angeordnete Fenster rhythmisierte Keramikfassade des Via-Nievo-Wohnhauses an heutige Experimente mit Gebäudehüllen, so glaubt man in einem langgezogenen, über einem Pultdach schwebenden Giebelhaus die etwas ungelenke Urform des Vitra-Gebäudes von Herzog & de Meuron in Weil am Rhein zu erblicken. Ob die Basler Caccias Bauten kennen, ist ungewiss. Sicher ist hingegen, dass Renzo Piano sich beim Beyeler-Museum in Riehen von Gardellas Mailänder Padiglione d'arte contemporanea anregen liess. Doch dieses Gebäude sucht man in der Schau ebenso vergeblich wie die Werke von Scarpa und Mollino – oder Antonio Macconis «Schubladenhaus» an der Amba-Alagi-Strasse in Bozen. Aber Feiersingers Materialsammlung kann – als ein Work in Progress – ja noch erweitert werden.

Ausdruck des Zukunftsglaubens

Trotz der fehlenden Systematik erweisen sich die Ausstellung und das kunstvoll gestaltete Katalogbuch als eine fast unerschöpfliche Inspirationsquelle – gerade für Architekten und Studenten, die sich übersättigt fühlen von all den geistlos-glatten Glasgebäuden unserer Zeit. Denn der von einer grenzenlosen Phantasie angefeuerte Stilpluralismus jener Jahre kannte keine architektonischen Tabus. Ihm verdankt Mailand das kielförmig über einem eingeknickten Sockelgeschoss in den Corso Italia auskragende Bürohaus von Luigi Moretti genauso wie die legendäre Torre Velasca von BBPR, das ingeniöse, jedoch stark vernachlässigte Istituto Marchiondi von Vittoriano Viganò oder die enigmatische Gallaratese-Wohnmaschine von Aldo Rossi. Gerne riskierte man damals auch konstruktive und ingenieurtechnische Experimente wie das Istituto tecnico von Enrico Castiglioni in Busto Arsizio, die Chiesa Santa Maria Immacolata von Giuseppe Pizzigoni in Bergamo oder die hängebrückenartige Papierfabrik von Pier Luigi Nervi in Mantua. Die verblüffendste Erfindung jener Jahre aber war wohl das durch angehängte Kabinen charakterisierte, an den japanischen Metabolismus erinnernde Kapselhotel «La Serra» von Iginio Cappai und Pietro Mainardis, das gleichsam aus den alten Mauern von Ivrea herauswächst. Wie kein anderer Bau steht es für eine Zeit, in der alles machbar, ja eine bessere Gesellschaft möglich schien. Nur schade, dass dieser Zukunftsoptimismus den italienischen Architekten seit Tangentopoli und Berlusconi abhandengekommen ist.

Roman Hollenstein

 

Tiroler Tageszeitung, 15. Oktober 2011

Unikate und Utopien aus dreißig Jahren

Aus der Faszination des Brüderpaares Martin und Werner Feiersinger für die Architektur in Oberitalien ist eine sehenswerte Ausstellung im aut geworden.

Sehnsuchtsreisende in Richtung Süden wissen: Auf der Höhe von Triest lässt sich von der Autobahn aus der erste Blick aufs Meer erhaschen. Und gleich darauf auf einen Koloss aus Beton: Das Wohnquartier Rozzol Melara ist eine auf brückenartigen Konstruktionen getürmte Megastruktur aus Sozialwohnungen, entworfen von Carlo und Luciano Celli, realisiert zwischen 1970 und 1983.

Andere, in ihrer Kühnheit, Eigenwilligkeit, Gigantomanie oder mitunter auch Skurrilität augenfällige Beispiele der Nachkriegsarchitektur in Norditalien müsste man ganz gezielt (auf)suchen. Was Martin und Werner Feiersinger seit Jahren tun. Denn es gibt ihrer genug: Im Städtchen Ivrea etwa, dessen wirtschaftliche, soziale und eben auch architektonische Struktur durch die dort 1908 gegründete Firma Olivetti wesentlich geprägt worden ist. Das zeigt sich an dem von Ridolfi & Frankl entworfenen Olivetti-Kindergarten aus den 1950er Jahren – „ein Gusto­stückerl der neorealistischen Bewegung“, so Martin Feiersinger – oder auch an dem von Cappai & Mainardis mit Wohnkapseln ausgestatteten Hotel „La Serra“ (1967–75).

Regelmäßig betreiben die Brüder Feiersinger Feldforschung, entstanden ist daraus die Bestandsaufnahme eines faszinierenden Stilpluralismus, den Neorealisten, Brutalisten, Rationalisten und Organiker hinterlassen haben. Und der im „aut“ unter dem Titel „Italomodern. Architektur in Oberitalien 1946 bis 1976“ gezeigt wird. Spannend sind dabei neben den vorgestellten Projekten selbst auch die aus der jeweiligen Profession der Brüder herrührenden unterschiedlichen Perspektiven. Es ist keine klassische Architekturfotografie, mit der der Künstler Werner Feiersinger die Projekte dokumentiert, und es sind seine eigenen bildhauerischen Arbeiten, die die Ausstellungsarchitektur bestimmen, während Architekt Martin Feiersinger nicht zuletzt mit Auszügen aus seiner umfassenden Bibliothek das Interesse an der Aufarbeitung der italienischen Moderne bekundet und in Arbeitshefte zu den vorgestellten Projekten gestaltet hat. Aus dem Archiv des „aut“ stammt die Sammlung an Heften der Architektur- und Designzeitschrift Domus, deren Gründer Giò Ponti u. a. mit seiner in den 1960ern entworfenen „Casa sotto una foglia“ vertreten ist.

Die Spur einer „recherche sentimentale“ nennt Otto Kapfinger diese Bestandsaufnahme in seinem Text zum parallel im Springer Verlag erschienenen Buch, das nicht nur mit einer eigens entwickelten Typografie namens „Agipo“, sondern auch mit neu gezeichneten Plänen und Texten zu allen 84 Projekten aufwartet.

Ivona Jelcic

 

werk, bauen + wohnen 1-2.2012

Ossessione

Als Tiroler Architekt fahre man nach Zürich, um Bücher zu kaufen und nach München um ins Theater zu gehen. Nach Wien fahre man ohnehin - und nach Oberitalien fahre man, um gut zu essen und um Architektur anzuschauen. So sagt man. Tirols Hauptort Innsbruck liegt etwa gleich weil entfernt von den eben genannten Orten. Die «Hauptstadt der Alpen» am Kreuzpunkt bergequerender Verkehrswege bietet für Architekturinteressierte nebst aktuellen Bauten internationaler Stars - wie etwa der Talstation der Hungerburgbahn und der Skisprungschanze von Zaha Hadid oder dem Kaufhaus Tyrol von David Chipperfield - auch Hintergründiges: Mit dem Forum im 1926/27 von Alois Welzenbacher erbauten und 2005 von Köberl & Giner + Wucherer Pfeifer sanierten und umgebauten Sudhaus der Brauerei Adambräu findet sich für die Architektur ein Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen. Aktuell laden der Architekt Martin Feiersinger und der Künstler Werner Feiersinger mit «Italomodern» nach Oberitalien ein. Der Name der Ausstellung ist Programm; er klingt schwärmerisch nach Wortschöpfungen, die das «Italienische» zur Sache haben - erinnert etwa an «Italowestern» oder an «Italodisco».

Ieri, oggi e domani

Die beiden Brüder Feiersinger haben anlässlich gemeinsamer Reisen einen umfassenden wie subjektiven Katalog an Bauten der 40er bis 70er Jahre zusammengetragen. Sie präsentieren ihre «Funde» nun anhand von grossformatigen, gerahmten Aufnahmen und kleinen, im Gegensatz zu den Bildern miniaturisiert wirkenden Heften im Format A5. Die Bilder sind in lockerer und spontan wirkender Hängung wie in einer Kunstgalerie über die Wände der Ausstellung verteilt, und beim Durchschreiten staunt man über die Vielfalt der verschiedenen Architekturen. Den gezeigten Bauten ist gemeinsam, dass sie in besagter Zeit in Oberitalien errichtet worden sind und dem entsprechen, was man gemeinhin als Italienische Nachkriegsmoderne bezeichnet. Ideelle, regionale oder stilistische Gegensätze haben bei der Auswahl keine Rolle gespielt; einzig gewisse der Architektur jener Zeit innewohnende, vorwiegend visuelle Kriterien führten zur Aufnahme und der weiteren thematischen Unterteilung. So finden sich etwa der Mailänder Wohn- und Bürokomplex am Corso d'Italia von Luigi Moretti, der seine faschistische Gesinnung nie öffentlich widerrufen hat, und das Rathaus in Sesto San Giovanni von Piero Bottoni, der Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens war, einträchtig in der Ausstellung versammelt; einzig «thematisch» unterscheiden sie sich, indem Moretti bei den «Wohnhäusern» und Bottoni unter «Fassaden und Dächer» untergebracht ist. Grosse Aufmerksamkeit wird dem Werk von Luigi Caccia Dominioni zuteil, dessen Bauten entgegen ihrer bisherigen bescheidenen Rezeption plötzlich thematisch überall hinzupassen scheinen. Darf man das? Darf man historische Architekturen derart aus ihrem geschichtlichen und kulturellen Kontext herausreissen? Um diese Frage zu beantworten, seien einige Erwägungen erlaubt. Zum einen gilt, dass die erwähnten politischen Differenzen im heutigen Italien - nach dem Zusammenbruch der alten Parteienherrschaft 1992/93 und dem eben erfolgten Abgang Silvio Berlusconis - nun endlich und hoffentlich keine Rolle mehr spielen, und dass aus diesem Grund der Blick nun frei sein sollte auf die architektonische Qualität einer, wie die Autoren der Ausstellung sagen, «vergessenen» Architektur. Zum anderen will die Ausstellung auch nicht mehr sein als ein «Logbuch» zu einer beständigen Recherche von Architekt und Künstler. Der über die Jahre angehäufte Fundus an Formen und Ausdrucksmöglichkeiten hat dabei idealisierenden Charakter. Diese Idealisierung vermittelt, allgemein gesprochen, in der kreativen Arbeit zwischen Objekt und Subjekt, und im Speziellen, so lässt sich vermuten, im kreativen Austausch zwischen den beiden Brüdern. In der Galerie ausgestellt, wird das Material zur Spiegelung des Feiersingerschen Werks. Und hier liegt die grosse Stärke der Ausstellung, denn ein solcher Narzissmus kann als Triebfeder der Architektur ansteckend sein: Er hält den Besucher vielleicht dazu an, über die Grundlagen der eigenen Arbeit nachzudenken. Die Beharrlichkeit, mit der das Material zusammengetragen, arrangiert und mit der alle Grundrisse der gezeigten Bauten für die kleinen Hefte neu gezeichnet wurden, lassen einen nach seinem eigenen Verhältnis zur Architektur und ihrer persönlichen Pflege fragen ...

Caccia alla volpe

Angesichts einer so intimen Aufforderung wirkt der zweite Teil der Ausstellung - mit dem einem «Kiosk» nachempfundenen Gerüst für Zeitschriften, auf das die Ausgaben der «goldenen» Nachkriegsjahre von «domus» angeschlagen sind, und einem weiteren Gerüst mit Büchern aus der Bibliothek der Feiersingers - eher aufgesetzt, zumal Zeitschriften wie Bücher nicht durchzublättern sind und sich die Entdeckungen der beiden Brüder so nicht durch eigene Anschauung nachvollziehen lassen. Immerhin wird über die Installation eine Ahnung von der künstlerischen Transformation des Fundus vermittelt. Was für die Arbeit Werner Feiersingers gilt, kann aber nicht auf das Entwerfen von Architektur übertragen werden. Spätestens hier versäumten es die Autoren, sich grundsätzlich mit dem idealisierenden Aneignen von Architektur auseinanderzusetzen. Denn gerade heute offenbart das mimetische Ausrichten an historischen Vorbildern eine veritable Alternative zu den Posen der Stararchitektur. Aber zwischen Nachahmung und Neuschöpfung besteht eine recht weite Spanne und es wäre Sache der Ausstellung gewesen, hier - wenn nicht Vorschläge zu unterbreiten – so doch einen erhellenden Einblick in die architektonische Werkstatt zu gewähren.  Diesem Anliegen wird dafür der Ausstellungskatalog gerecht, allerdings auch nur indirekt, indem er einerseits Martin Feiersingers Kommentare zu den Bauten in den A5-Heften und die um weitere Aufnahmen ergänzten Bilder für ein Lesen in Musse versammelt; die persönlich gefärbten Baubeschreibungen lassen ahnen, worauf es dem Architekten Martin Feiersinger ankommt. Andererseits bietet ein Text Otto Kapfingers genau jene in der Ausstellung vermisste Anschaulichkeit des kreativen Transformationsprozesses, indem er in 13 «Notizen» den eigenen Zugang zur Nachkriegsarchitektur Oberitaliens beschreibt und mit Ausschnitten aus Quellentexten veranschaulicht. Darüberhinaus geht aus den Notizen und Textfragmenten - eigentlichen Fundstücken - hervor, wie ein feiner Essay entstehen kann.

Miracolo a Milano?

Wenn man von den tatsächlichen oder interpretierten Schwierigkeiten im Umgang mit einem privaten Archiv absieht, mag man sich nun fragen, was von der Ausstellung thematisch nachzuwirken vermag. Zum einen ist es sicher die «Wiederentdeckung» einer Architektur, die zwar nie wirklich verschüttet war, die aber in jüngerer Zeit in ihrer Vielfalt wenig Beachtung fand. Alleine das Porträtieren der aus heutiger Sicht wichtigsten Bauten der «goldenen Jahre» Oberitaliens in einem ansprechenden Katalog ist, inklusive Geotagging zum einfachen Auffinden, ein Verdienst. Die handwerklich und gedanklich geschliffenen Bauten stellen aktuelles Architekturschaffen zur Disposition; denn viele von ihnen stehen für eine empirische Architektur, die abstrakt und sprechend zugleich ist und in dieser kultivierten Mehrdeutigkeit einer vermarktbaren konzeptuellen Vereinnahmung und Banalisierung zuwiderläuft. Es ist interessant, wie sich diese Widerstandskraft über die Bilder unmittelbar mitteilt: Diejenigen Bauten, die privat genutzt werden, sind in der Regel in allerbestem Zustand. Die Gebäude aber, die entweder zu Geschäftszwecken oder von der Öffentlichkeit beansprucht werden, scheinen verkannt und vernachlässigt, als ob ihr Wert in der heutigen Zeit nicht lesbar wäre. Dies ist aber sicher auch ein Problem Italiens und der Art und Weise, wie in diesem Land die Öffentlichkeit während der letzten Jahre für private Zwecke missbraucht worden ist. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass die Inspiration den Weg über den Brenner in umgekehrter Richtung findet und die Ausstellung baldmöglichst in Mailand selber einem breiten Publikum gezeigt werden kann.

Tibor Joanelly